Wahlprüfstein Europawahl 2024
BAG ÖRT
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Welchen Stellenwert hat Jugendsozialarbeit für Ihre Partei und wie wollen Sie benachteiligte oder vom System entkoppelte Jugendliche im Übergangsbereich fördern?
Die Linke misst der Jugendsozialarbeit - wie insgesamt der Kinder- und Jugendhilfe - eine hohe Bedeutung zu. Insbesondere Jugendliche leiden unter dem Sozialabbau der letzten Jahrzehnte. Angebote der Jugendsozialarbeit wurden abgebaut. Die Angebote für "entkoppelte" Jugendliche enden oftmals mit Beginn der Volljährigkeit, ohne dass sie bereits in der Lage sind, selbstständig zu leben. Wir fordern stattdessen, dass es weiterhin sozialpädagogische Betreuungs-, Unterstützungs- und Integrationsangebote für sie gibt (z. B. betreutes Einzelwohnen, Übergangslotsen zur Verselbstständigung, Lern- und Ausbildungsmöglichkeiten). Wir setzen uns deshalb dafür ein, dass die Jugendsozialarbeit finanziell gestärkt und nachhaltig abgesichert wird. Dafür fordern wir ein Sonderprogramm, um weggefallene Strukturen der Jugendsozialarbeit neu aufzubauen bzw. bestehende Investitionsstaus aufzulösen. Den Kinder- und Jugendplan des Bundes wollen wir finanziell aufstocken.
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Wie wollen Sie die EU-Jugendstrategie und die Teilhabemöglichkeiten junger Menschen im demokratischen Prozess weiterentwickeln und extremistischen Positionen vorbeugen?
Zentral sind aus Sicht der Linken gute Entwicklungsmöglichkeiten und verlässliche Zukunftsperspektiven für alle Kinder und Jugendlichen. Soziale Sicherheit, gesellschaftliche Teilhabe und Vertrauen in die Zukunft sind der beste Schutz vor Extremismus. In der EU und in Deutschland wächst jedes fünfte Kind in Armut auf. Deshalb setzen wir uns für eine EU-weite Kindergrundsicherung ein, die allen Kindern und Jugendlichen gesellschaftliche Teilhabe, kostenlose Bildung und Erziehung, Gesundheitsversorgung, gesunde Ernährung und altersgerechte Unterkunft ermöglicht. Wir brauchen gut ausgestattete Kitas, Schulen, öffentliche Bibliotheken, Musikschulen, Schwimmbäder und Sportstätten, damit alle Kinder und Jugendlichen gut gefördert werden. Wir fordern wir eine Ausbildungsgarantie für alle Jugendlichen und eine Ausbildungsumlage, mit der ausbildende Betriebe unterstützt werden von Unternehmen, die selber nicht ausbilden. Wir wollen das Wahlrecht in allen EU-Ländern auf 16 Jahre senken.
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Wie wollen Sie gegen Jugendarmut und -arbeitslosigkeit vorgehen und gleichberechtigte Zugänge zu Ausbildung und Arbeit auch für junge Menschen mit Flucht- oder Migrationsgeschichte oder Behinderung schaffen?
Die hohe Armutsbetroffenheit junger Erwachsener zeigt, dass in diesem Alter die Existenzsicherungssysteme nicht gut greifen. Wir fordern daher eine sozial gerechte, elternunabhängige Existenzsicherung für junge Erwachsene. Unsere Kindergrundsicherung sollen junge Volljährige bis zum Schulabschluss inklusive Abitur erhalten. Für Ausbildung und Studium soll weiterhin Kindergeld gewährt werden. Ergänzend hinzu kämen BAföG, Berufsausbildungsbeihilfe und Mindestausbildungsvergütung. Gegen die Jugendarbeitslosigkeit fordern wir eine solidarische Ausbildungsumlage und einen Rechtsanspruch auf Ausbildung. Wir setzen uns für ein inklusives Bildungssystem auf allen Ebenen ein. Sondereinrichtungen für Menschen mit Behinderung zum Lernen, Arbeiten und Wohnen wollen wir abschaffen. Auch für Menschen mit Behinderung muss in allen Arbeitsbereichen der gesetzliche Mindestlohn gelten. Bei jungen Menschen mit Fluchterfahrung muss die Aufnahme einer Ausbildung oder eines Studiums das Bleiberecht sicherstellen und vor Abschiebung schützen.
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Wie wollen Sie ESF geförderte Projekte in langfristige Strukturen überführen bzw. eine Weiterführung vor Ort ermöglichen?
Die Linke setzt sich dafür ein, dass soziale Arbeit dauerhaft ausreichend finanziert wird. Die Förderung über Projektgelder ist eine Unterstützung, die durch das Grundproblem zu geringer Mittel überhaupt erst nötig ist. Statt über immer neue Projekte und Anträge müssen grundlegende gesellschaftliche Aufgaben wieder dauerhaft finanziert werden. Das entlastet auch die Träger von Bürokratie und Zeit, die derzeit in Anträge statt in Unterstützung für die Betroffenen fließt. Erforderlich ist dafür ausreichende Geld in den Kommunen durch eine gerechte Steuerpolitik. Alle Bundesregierungen der letzten Jahrzehnte haben die Steuern für Unternehmensgewinne, Vermögen, Kapitalerträge und Erbschaften gesenkt und dadurch die öffentlichen Haushalte verarmt. Öffentliche Leistungen wurden privatisiert und gekürzt. Die Linke setzt sich für höhere Steuern auf Gewinne, Erbschaften, Kapitalerträge und hohe Vermögen ein, damit für soziale Belange und Investitionen ausreichend Geld da ist.
Themen:
Digitalisierung
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Wie möchte Ihre Partei die Digitalisierung vorantreiben, mit den Chancen und Risiken von Künstlicher Intelligenz umgehen und junge Menschen im digitalen Raum schützen?
Die Linke setzt sich ein für ein Umdenken hin zu wirklich sozialen Netzwerken und gemeinwohlorientierten Plattformen statt der profitgetriebenen Angebote der Konzerne. Algorithmen von Sozialen Medien Plattformen müssen nachvollziehbar sein, um Nutzer*innen verlässlich zu schützen. Denn Konzerne programmieren Plattformen daraufhin, Nutzer*innen lange vorm Bildschirm zu halten. Damit fördern sie Sucht, Desinformation und Filterblasen. Entscheidungsfreiheit, freie Meinungsbildung und informationelle Selbstbestimmung gehen verloren. Deswegen wollen wir Transparenz regeln und gemeinnützige Geschäftsmodelle öffentlich fördern. Wir setzen uns für starken Datenschutz und ein Verbot personalisierter Werbung ein. Forschung zu gesellschaftlich nützlichen Anwendungen und zu Risiken künstlicher Intelligenz wollen wir öffentlich finanzieren. In Schulen dürfen keine KI eingesetzt werden, die Leistungen, Lernen oder Sozialverhalten bewerten. Medien- und Datenschutzkompetenz von Kinder und Jugendlichen muss möglichst früh gefördert werden.
Themen:
Digitalisierung
6
Wie wollen Sie dem Fachkräftemangel in der sozialen Arbeit und im Bildungswesen entgegentreten?
Um ausreichend Fachkräfte zu gewinnen sind gute Bezahlung, gute Arbeitsbedingungen und verlässliche Zukunftsperspektiven entscheidend. Die Politik muss soziale Bereiche endlich ausreichend finanzieren, um angemessene Personalschlüssel zu ermöglichen und die Beschäftigten zu entlasten. Daueraufgaben müssen langfristig sicher finanziert werden. Wer sich jahrelang von Vertrag zu Vertrag hangeln muss, sucht sich irgendwann etwas anders. Riesige Vermögen, hohe Einkommen und Unternehmensgewinne müssen endlich wieder angemessen besteuert werden, um genügend Geld für Bildung und soziale Arbeit bereitzustellen. Im Grundgesetz ist eine Vermögensteuer vorgesehen, deren Einnahmen unmittelbar den Bundesländern und Kommunen zustehen, aber sie wird seit 1997 nicht erhoben. Das Geld fehlt für soziale Aufgaben und Investitionen. Mit einer Vermögensteuer kommen schätzungsweise 90 bis 130 Milliarden Euro im Jahr zusammen. Sie muss endlich wieder erhoben werden.
Themen:
Digitalisierung
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Wie wird Ihre Partei dafür sorgen, dass ausreichend bezahlbarer Wohnraum für junge Menschen zur Verfügung steht?
Es ist ein riesiges Problem, dass junge Menschen keinen bezahlbaren Wohnraum finden. Das erschwert auch die Ausbildungssuche oder Aufnahme eines Studiums entfernt vom Wohnort der Eltern. Der Neubau von Wohnheimen für Auszubildende und Studierende müssen deshalb massiv gefördert werden. Privates "Bauen, bauen, bauen" hilft aber nicht gegen die Mietenkrise, denn die meisten Wohnungen, die gebaut werden, sind zu teuer. Ein großer gemeinnütziger Wohnungssektor hält die Mieten bezahlbar – wie etwa in Wien. Dort gehören 25% der Wohnungen der Stadt und 25% Genossenschaften. Um die Wohnungskrise zu bekämpfen, müssen die Investitionen in den bezahlbaren, sozialen Wohnungsbau massiv ausgeweitet werden und in den Aufbau eines gemeinnützigen Wohnungssektors fließen. Wir sagen: Keine Profite mit der Miete! Wir fordern zudem Mietobergrenzen in der ganzen EU. In Deutschland fordern wir einen bundesweiten Mietendeckel, der die Miete einfriert und auf angespannten Wohnungsmärkten absenkt - das schreckt zudem Investoren ab, die mit Wohnraum spekulieren.
Themen:
Digitalisierung
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Wie möchte Sie die Versorgungslage im Bereich der psychischen Gesundheit für junge Menschen verbessern?
Die psychotherapeutische Versorgung deckt in vielen Regionen bei Weitem nicht den Bedarf. Die Bedarfsplanung muss gerade in diesem Bereich dringend überarbeitet werden. Auch unterhalb von Erkrankungen müssen Belastungen in den Blick genommen werden: Leistungsdruck fängt inzwischen immer früher an, Cybermobbing wird ein immer größeres Problem. Dazu kommen Auswirkungen der Lockdowns und Schulschließungen auf Kinder und Jugendliche. Entscheidend ist der systemische Blick auf die vielfältigen Unterstützungsbedarfe, die weit über die medizinische Versorgung hinaus gehen. Wir brauchen mehr Schulpsycholog*innen, stärkere sozialpsychologische Begleitung auch in der Ausbildung und mehr psychologisches Personal in den Jugendämtern. Die Angebote der stationären Psychiatrie, von ambulanten Psychotherapeut*innen, Drogen- und Suchthilfe, Krisendiensten und Gemeindepsychiatrie/sozialpsychiatrischen Diensten, Eingliederungshilfe, Jugendhilfe etc. müssen besser miteinander vernetzt werden. Wir fordern eine einheitliche Anlaufstelle für Leistungen aller Träger und Hilfesysteme als Türöffner zu den individuell angemessenen Hilfesystemen.
Themen:
Digitalisierung