Wahlprüfstein Europawahl 2024

Initiative Familien e.V.

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Was wird das erste konkrete familienpolitische Thema sein, das Sie im Europaparlament vorantreiben wollen und warum gerade dieses Thema? Welche Bedeutung haben Interessenvertretungen für Familien aus Ihrer Sicht? Inwieweit wollen Sie diese in Ihre Arbeit auf EU-Ebene einbinden?
Rund 20 Millionen Kinder in Europa sind von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht. Das ist jedes vierte Kind (24,7 %). Die Linke wird sich im Europäischen Parlament deshalb dafür einsetzen, dass die Europäische Kindergarantie europaweit umgesetzt und um eine EU-weite Kindergrundsicherung ergänzt wird. Der durch die Europäische Kindergarantie versprochene Zugang für bedürftige Kinder zu kostenloser Betreuung, Bildung und Gesundheitsversorgung muss in allen Mitgliedsländern ermöglicht werden. Um Kinderarmut direkt anzugehen, sind darüber hinaus ausreichende finanzielle Leistungen für arme Kinder erforderlich, damit auch gesundes Essen und angemessener Wohnraum für sie (und ihre Eltern) zugänglich werden. Bei der Umsetzung müssen Vertreter*innen der Kinder und ihrer Eltern beteiligt werden, damit ihre Perspektiven Berücksichtigung finden.

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Was kann und muss das Europaparlament für Kinder und Jugendliche (KuJ) tun? Was hat dabei Priorität und wofür wollen Sie sich konkret einsetzen? Was kann auf europäischer Ebene dafür getan werden, dass Kinderrechte umfassend in Deutschland in allen politischen Vorhaben berücksichtigt werden müssen?
Die Linke setzt sich auch im Europäischen Parlament dafür ein, dass die Angebote für Kinder und Jugendliche zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und zur persönlichen Entwicklung ausgebaut werden - barrierefrei, lebensnah und möglichst gebührenfrei. Die europäischen Kommunen und Regionen müssen dafür finanziell unterstützt werden. Wir setzen uns deshalb für einen EU-Kommunalisierungsfonds ein, über den gemeinnützige Angebote der Kinder- und Jugendhilfe, Sportanlagen, Frei- und Hallenbäder, Kultur- und Bildungseinrichtungen ausgebaut und auf die Bedürfnisse der jungen Menschen ausgerichtet werden. Wir setzen uns für umfassende Teilhaberechte von Kindern und Jugendlichen in ganz Europa ein. Deswegen fordern wir für Kinder und Jugendliche einen europaweiten Rechtsanspruch auf soziale Teilhabe. In Deutschland wollen wir Kinderrechte im Grundgesetz verankern.

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Mit welchen Maßnahmen wollen Sie den Kinder-und Jugendmedienschutz auf europäischer Ebene zukunftsfähig gestalten und gleichzeitig ein sicheres Online-Umfeld schaffen, in dem die Kinderrechte auf Schutz, Befähigung und Teilhabe auch in einer digitalisierten Gesellschaft sichergestellt sind?
Für Kinder und Jugendliche gehört das Internet zum Alltag. Das Geschäftsmodell der Sozialen Netzwerke beruht im Grunde darauf, Daten ihrer Nutzer*innen zu sammeln und kommerziell zu verwerten. Entsprechend gestalten Unternehmen die Angebote im Interesse ihrer Profite. Plattformen werden daraufhin optimiert, Nutzer*innen möglichst lange online zu halten. Damit wird Suchtverhalten gefördert. Wirkliche Entscheidungsfreiheit, freie Meinungsbildung und informationelle Selbstbestimmung gehen verloren. Deshalb müssen Medienbildung und Medienkompetenzvermittlung in allen Bildungseinrichtungen auf die Tagesordnung. Wir brauchen flächendeckend medienpädagogische Angebote auch für Eltern und Lehrkräfte. Gleichzeitig brauchen alle Plattformen hinreichende Vorgaben zum Umgang mit persönlichen Daten und Transparenzvorschriften für Algorithmen, damit Vorschläge und Entscheidungen nachvollziehbar sind. Wir wollen personalisierte Werbung verbieten, um Manipulation zu begrenzen. Stattdessen wollen wir gemeinwohlorientierte Geschäftsmodelle fördern.

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Welchen Stellenwert haben für Sie die internationale Jugendarbeit sowie EU-Schüler:innen- und Jugendaustausche? Was kann aus Ihrer Sicht an EU-Schüler:innen- und Jugendaustauschen verbessert werden?
Die Linke will den internationalen Jugendaustausch stärken. Ziel sollte sein, so vielen jungen Menschen wie möglich diese wertvolle Erfahrung zu ermöglichen. Dabei ist uns wichtig, dass insbesondere sozial benachteiligte junge Menschen sowie junge Menschen mit Behinderungen gefördert werden. Diese Jugendlichen haben in der Regel erschwerten Zugang zu Austauschangeboten. Arme Familien können sich in der Regel nicht leisten, dass ihre Kinder einen Auslandsaufenthalt machen können. Um die Selektivität abzubauen, fordern wir für diese Jugendlichen eine elternunabhängige Finanzierung. Insgesamt müssten bei den unterschiedlichen Projekten die Antrags-, Abrechnungs- und Berichtspflichten entbürokratisiert und vereinfacht werden. Wir setzen uns für eine Erhöhung der Fördermittel ein.

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Welche zusätzlichen Partizipationsmöglichkeiten auf EU-Ebene können Sie sich für Kinder und Jugendliche vorstellen? Wie stehen Sie zu einem Wahlrecht ab Geburt (bis zur Wahlmündigkeit treuhänderisch von den Eltern ausgeübt) oder ab 14 Jahren?
Die Linke setzt sich seit ihrer Gründung dafür ein, dass keine Politik für Kinder ohne ihre Stimme gemacht wird. Dieser Grundsatz findet sich auch in der Charta der Grundrechte der EU (Artikel 24). Die EU-Plattform #EUChildParticipation trägt dazu bei, das Recht der Kinder, gehört zu werden, aktiv umzusetzen. Wir wollen die EU-Kinderbeteiligungsplattform ausbauen und verstetigen. Dazu fordern wir entsprechende Finanzmittel. Unserer Ansicht nach sollte geprüft werden, ob auch einzelne Kinder und Jugendliche eine Mitgliedschaft auf der Plattform erlangen können. Bislang geht dies nur für Kinderbeteiligungsorganisationen. Wir wollen, dass das aktive Wahlrecht in allen EU-Mitgliedsländern auf 16 Jahre gesenkt wird. Dies deckt sich auch mit den Wünschen und Bedürfnissen, die von Kindern und Jugendlichen formuliert wurden, die an der ersten Generalversammlung der EU zur Teilhabe von Kindern am 26. und 27. Juni 2023 in Brüssel teilnahmen.

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Inwieweit wollen Sie sich dafür einsetzen, dass die Kinderrechtskonvention in eine umfassende und einheitliche Gesamtstrategie für die europäische Innen- und Außenpolitik umgesetzt wird?
Die EU-Kinderrechtsstrategie von 2021 war ein wichtiger Schritt, um Maßnahmen zur Stärkung von Kinderrechten zu bündeln und entsprechende Empfehlungen an die Mitgliedstaaten zu formulieren. 2024 soll sie gemeinsam mit Kindern evaluiert werden. Dabei setzen wir uns ein, dass vor allem die Maßnahmen zur Bekämpfung von Kinderarmut verstärkt werden. Wir fordern dafür eine EU-Kindergrundsicherung. Außerdem streiten wir für eine konsequente Umsetzung der EU-Kindergarantie in allen Mitgliedsländern. So fehlen allein in Deutschland 400 000 Kitaplätze und an Schulen gibt es kein kostenfreies Mittagessen. Wir wollen das EU-Lieferkettengesetz verschärfen, um Kinder im globalen Süden vor Ausbeutung zu schützen. Die deutsche Bundesregierung hat sich auf Druck der FDP für die Verwässerung des ursprünglichen EU-Entwurfs eingesetzt, so dass das Gesetz jetzt für deutlich weniger Unternehmen gilt. Das ist eine Missachtung der Menschenrechte gerade von Kindern im globalen Süden.

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KuJ in Europa sind mit multiplen Krisen konfrontiert. Mit welchen programmatischen Ideen wollen Sie sich für eine bessere Zukunft unserer Kinder in einer glaubhaften, friedensstiftenden, solidarischen EU einsetzen? Wie erreichen Sie, dass KuJ wieder Zuversicht fassen und an die europ. Idee glauben?
Wir wollen eine EU, die allen soziale Sicherheit und soziale Teilhabe ermöglicht. Dafür müssen öffentliche Dienstleistungen wie Bus- und Bahnverbindungen, Schulen und Kitas, Kulturangebote und Gesundheitsversorgung ausgebaut und gut ausgestattet werden. Sie sind der Kitt, der die Gesellschaft zusammenhält. Eine gestärkte öffentliche Daseinsvorsorge schafft öffentlichen Reichtum, der allen zu Gute kommt und allen Sicherheit für ihre Zukunftsplanung gibt. Wer vertrauensvoll in die Zukunft blickt, kann sich auch wieder für Europa und ein solidarisches Miteinander begeistern. Erfahrbar werden Teilhabe und Verlässlichkeit in den Kommunen und Regionen vor Ort. Dafür brauchen die Kommunen ausreichend Geld, damit Schwimmbad, Bibliothek und Buslinie nicht Kürzungszwängen zum Opfer fallen, sondern Teilhabe und Entwicklung aller Kinder gefördert werden. Zur Finanzierung fordern wir einen EU-Kommunalisierungsfonds, der die Kommunen und Regionen finanziell unterstützt, die öffentliche Daseinvorsorge auszuweiten.

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Was kann auf europäischer Ebene zur Bekämpfung von Kinderarmut getan werden?
Die Linke will Kinderarmut auch auf europäischer Ebene mit einer wirksamen Kindergrundsicherung bekämpfen. Dabei müssen zwei Dimensionen der Kinderarmut berücksichtigt werden: materielle Armut (d.h. zu wenig Zugang zu Wohnraum, gesundem Essen, Kleidung, Schulsachen, Büchern u.ä.) und fehlende soziale Teilhabe. Unsere Kindergrundsicherung will beide Formen der Armut abschaffen: materielle Armut durch finanzielle Unterstützung; mangelnde soziale Teilhabe durch den Ausbau von Kinder- und Jugendfreizeiteinrichtungen, Musikschulen, Bibliotheken, öffentlichem Nahverkehr u.ä.. Durch diese Angebote wird die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben erleichtert und die persönliche Entwicklung gefördert. Die Angebote sollen niedrigschwellig, barrierefrei, wohnortnah im Lebensumfeld und möglichst gebührenfrei sein. Wir fordern, dass die EU eine Rahmenrichtlinie zur Bekämpfung der Kinderarmut erlässt, die beide Dimensionen der Kinderarmut berücksichtigt. Damit werden Mindeststandards gesetzt, die von den Mitgliedsstaaten umgesetzt werden müssen.