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Bundesverband der Pharmaziestudierenden in Deutschland e.V. (BPhD)

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Im Pharmaziestudium ist nach Approbationsordnung für Apotheker*innen keine wissenschaftliche Arbeit vorgesehen und im europäischen Vergleich sind praxisnahe Fächer wie die Klinische Pharmazie unterrepräsentiert. Welche Vision haben Sie, um das Pharmaziestudium zeitnah zukunftsfähig zu gestalten?
Die Inhalte des Pharmaziestudiums müssen nach Ansicht der Linken dringend modernisiert werden. Die klinische Pharmazie bildet den Schwerpunkt in der Arbeit der meisten Apotheker*innen. Sie muss deutlich aufgewertet werden. Das betrifft insbesondere die Stärkung der wissenschaftlichen Methodik. Apotheker*innen sollten in der Lage sein, die Aussagefähigkeit von klinischen Studien einschätzen und häufige Fallstricke erkennen zu können. Hier sehen wir erheblichen Handlungsdruck, damit Apotheker*innen sich über die Wirksamkeit und Risiken ein fundiertes Bild machen und Werbetaktiken durchschauen können. Wir sehen auch die Stärkung der Sozialpharmazie im Studium als wichtig an, um den neuen Aufgaben von Apotheken als Teil von regionalen Gesundheitsnetzwerken und niedrigschwelligem Zugang zum Gesundheitssystem Rechnung zu tragen.
Themen: Gesundheit

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Wie sieht Ihrer Meinung nach das Aufgabenfeld von Apotheker*innen in der Zukunft aus und wie kann der heilberufliche Aspekt des Berufs stärker in den Mittelpunkt gerückt werden?
Das Aufgabenspektrum der öffentlichen Apotheke ist im Wandel. Die Apotheke als Teil von public health-Netzwerken wird einen größeren Raum einnehmen. Für die Förderung der Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) müssen die individuellen und sozialen Umstände der Patient*innen berücksichtigt werden. Dieser Wandel ist auch wichtig, um die Präsenzapotheke fit für die Zukunft zu machen. Die vielfältigen Kompetenzen von Apotheker*innen müssen im regionalen Gesundheitsnetzwerk besser genutzt werden. Hier geht um die Beratung von Ärzt*innen und Pflegeeinrichtungen in Arzneimittelfragen, aber auch um mehr moderne Pharmazeutische Betreuung nah an den Patient*innen. Die Apotheke kann wichtige Aufgaben als niedrigschwelligster Anlaufpunkt des Gesundheitssystems erfüllen und müssen eng in public-health-Netzwerken eingebunden sein. Die ökonomisch motivierten Aufgaben wollen wir dagegen zurückfahren. Bei der Abgabe eines Arzneimittels muss die Beratung der Patient*innen im Mittelpunkt stehen, nicht die Erfüllung von Rabattverträgen oder Importquoten. Wir wollen Apothekenketten, erst recht in der Hand von Kapitalgesellschaften verhindern und den Versandhandel so weit es geht einschränken.
Themen: Gesundheit

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Welche Möglichkeiten sehen Sie, um die interprofessionelle Zusammenarbeit zwischen Apotheker*innen und Ärzt*innen sowohl im Berufsalltag als auch während der Ausbildung zu stärken?
Der Versuch, die Zusammenarbeit zwischen Ärzt*innen und anderen Berufsgruppen auf Augenhöhe zu fördern, stößt in Deutschland auf großen Widerstand. Dabei kann Deutschland viel aus anderen Staaten der EU lernen, wo Apotheker*innen erheblich mehr Kompetenzen haben und die enge Kooperation mit Ärzt*innen weiter fortgeschritten ist. Wir wollen, dass die EU-Institutionen die Strategien der einzelnen Mitgliedstaaten aufarbeiten, evaluieren und so gut es geht vergleichbar machen. Wir wollen eine Kultur des Voneinander-Lernens. Auch wenn die Gestaltung des Gesundheitssystems Aufgabe der einzelnen Mitgliedsstaaten ist, hat die EU die wichtige Rolle, best-practice-Beispiele verfügbar zu machen. Gerade auch in Bezug auf die interprofessionelle Zusammenarbeit muss Deutschland aufholen, denn eine gute und flächendeckende Gesundheitsversorgung wird mit den alten Strukturen künftig nicht aufrechterhalten zu sein.
Themen: Gesundheit

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Welche Präventionsmaßnahmen wollen Sie ergreifen, um die Prävalenz großer Volkskrankheiten zu verringern und in welcher Rolle sehen Sie hierbei Apotheker*innen?
Die wichtigsten Maßnahmen der Prävention und Gesundheitsförderung betreffen nicht einzelne Erkrankungen, sondern stärken die Gestaltung gesunder Lebensbedingungen, die allgemeine Gesundheitskompetenz. Der sozioökonomische Status (Einkommen, Bildungsstand etc.) ist der wichtigste Einflussfaktor für schwere Erkrankungen oder frühen Tod. Daher ist die Schaffung von guten Gesundheitschancen auch für die soziale schlechter gestellten Schichten der wichtigste Hebel für eine gesündere Gesellschaft. Die öffentliche Apotheke ist nah an den Menschen und genießt großes Vertrauen. Sie kann als Seismograf gesundheitsbezogene Probleme in der Bevölkerung erkennen und in regionale public-health-Netzwerke einbringen. Ein gutes und besonders dringliches Beispiel sehen wir beim Diabetes mellitus. Es ist entscheidend, Prädiabetes frühzeitig zu erkennen und zu bekämpfen. Dazu kann geschultes Apothekenpersonal beitragen, das oftmals in häufigem Kontakt mit ihren Patient*innen ist und so Veränderungen erkennen sowie in Kurzinterventionen mit den Betroffenen ins Gespräch kommen kann. Wir sehen Apotheken auch in wichtigen Rollen beim Ausbau von Schutzimpfungen und anderen krankheitsspezifischen Präventionsmaßnahmen.
Themen: Gesundheit

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Welche Maßnahmen wollen Sie ergreifen, um das deutsche Gesundheitssystem egalitär und unabhängig von Herkunft, Geschlecht, sexueller Orientierung oder sozialer Schicht zu gestalten?
Eine der wichtigste Ungleichbehandlungen betrifft die Trennung in privater und gesetzlicher Krankenversicherung. Diese Trennung bestimmt nicht nur die Behandlungsqualität und Wartezeiten, sondern untergräbt auch das Solidaritätsprinzip, mit dem das Gesundheitssystem überhaupt erst den Anspruch auf Egalität und Nichtdiskriminierung erheben kann. Wir wollen daher mit der solidarischen Gesundheits- und Pflegeversicherung alle Menschen gleichermaßen einbeziehen und so auch Spielräume für die Verbesserung der Versorgung der unteren sozialen Schichten heben. Zugangsbarrieren für marginalisierte Bevölkerungsgruppen abzubauen muss obere Priorität, denn ein solidarisch finanziertes Gesundheitssystem muss auch allen gleichermaßen offen stehen. In den Aus-, Fort- und Weiterbildungen muss die Sensibilität für Ungleichbehandlungen vermittelt werden. Die Benachteiligungen von Bevölkerungsgruppen sind oft offensichtlich, teilweise aber auch subtil und unbeabsichtigt. Es braucht mehr Kultursensibilität auch in der Arzneimittelversorgung, denn nur so können effektiv Arzneimittelrisiken verringert und die Adhärenz gesteigert werden. Auch deswegen fordern wir eine Stärkung der Sozialpharmazie im Studium.
Themen: Gesundheit

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Wie plant Ihre Partei, die Lieferengpässe von Medikamenten und Medizinprodukten zu lösen und gleichzeitig die Arzneimittelproduktion zurück nach Europa zu verlagern?
Lieferengpässe können unterschiedliche Ursachen haben und die Gegenmaßnahmen müssen vielfältig sein. Eine Ursache ist die Strategie der Pharmaindustrie, die Produktion von Arzneimitteln und Zusatzstoffen aus wirtschaftlichen Gründen zum Beispiel nach Indien oder China zu verlagern. Diversifizierung und Robustheit von Lieferketten sollten zu den Zulassungsauflagen gehören, die Voraussetzung für die Vermarktung eines Arzneimittels sind. Die einzigen, die es in der Hand haben, Lieferengpässe effektiv zu verringern, sind die Hersteller. Wir befürworten die Verlagerung von Produktion nach Europa, halten das aber nicht für ein Allheilmittel. Wir wehren uns daher gegen staatliche Subventionierungen für die ohnehin gut verdienende Pharmaindustrie, wenn damit nicht nachprüfbar eine Verbesserung der Versorgungssicherheit einhergeht. Die Linke setzt sich bei den Verhandlungen zum EU-Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel dafür ein, dass die Sicherstellung der Arzneimittelversorgung als wichtige Gemeinwohlaufgabe der Mitgliedstaaten definiert wird. Dieser Gemeinwohlaufgabe muss im EU-Recht Vorrang gegenüber dem freien Binnenmarkt eingeräumt werden. Anreize zur Verlagerung von Produktionskapazitäten in die EU oder nach Deutschland müssen durch klare Auflagen für mehr Versorgungssicherheit flankiert werden (Diversifizierung von Herstellungs- und Zulieferunternehmen, robuste Lieferketten etc.).
Themen: Gesundheit

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Welche Möglichkeiten sehen Sie, das Arbeiten im ländlichen Raum für Apotheker*innen und pharmazeutisch-technischen Assistent*innen attraktiver zu gestalten, um eine flächendeckende Gesundheitsversorgung zu gewährleisten?
Die Linke möchte gezielt Apotheken und unterversorgten Regionen unterstützen. Leider fehlt dazu noch immer eine verlässliche Datenbasis. Wir fordern einen Versorgungsatlas, der wissenschaftlich den Bedarf an Apothekenleistungen (inkl. der weiterentwickelten Aufgaben) und die bestehenden sowie künftig prognostizierten Apotheken gegenüber stellt. Nur so können verlässlich Versorgungsdefizite und drohende Engpässe erkannt werden. Um die Attraktivität der pharmazeutischen Berufe zu steigern, ist nach unserer Einschätzung neben einer besseren Bezahlung auch die Entbürokratisierung der Arzneimittelabgabe und die Stärkung der Heilberuflichkeit notwendig. Apotheken müssen mehr dürfen und sollten auch mehr können. Hier sehen wir neue pharmazeutische Dienstleistungen als wichtigen Schritt an, die wir uns erheblich weitergehend vorstellen können, als sie innerhalb der Selbstverwaltung vereinbart worden sind. Qualitätssicherung und Weiterqualifizierung werden dafür einen größeren Raum im Berufsleben von Apotheker*innen einnehmen müssen.
Themen: Gesundheit

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Apotheker*innen sind hochausgebildete Arzneimittelexpert*innen, deren Potential nicht ausreichend genutzt wird. Wie wollen Sie bspw. das Konzept der Apotheker*innen auf Station erweitern oder die Kompetenzen von öffentlichen Apotheker*innen durch unter anderem ein erweitertes Impfangebot ausbauen?
Die Linke E hat Impfungen in Apotheken und den weiteren Ausbau von Apothekenaufgaben im pharmazeutischen Bereich immer befürwortet. Wie beschrieben, können wir von anderen EU-Staaten viel lernen. Wir sehen die EU in der Pflicht, best-practice-Beispiele und auch Negativbeispiele für andere Staaten aufzuarbeiten. Das ist auch nicht beschränkt auf das EU-Ausland, wie vielversprechende Ansätze in Großbritannien oder Australien zeigen. Ein wichtiger Ansatz sind Stationsapotheker*innen, die es leider in Deutschland nur aufgrund von Einzelinitiativen gibt. Althergebrachte Hierarchien zu durchbrechen ist ein dickes Brett, das dringend gebohrt werden muss.
Themen: Gesundheit