Wahlprüfstein Europawahl 2024

Verband Sichere Digitale Identität e.V.

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Wie sehen Sie die Chancen der europäischen Digitalen Identitäts-Wallet (EUDIW), um die Übermacht von US- und bald auch chinesischen Konzernen in Deutschland zu begrenzen? Die kürzlich verabschiedete eIDAS-Verordnung schreibt die Einführung im Jahr 2027 gesetzlich vor.
Ob sich die EU mit einer solchen Übermacht konfrontiert sieht oder nicht, hat sie selbst in den Händen. Beispielsweise hängt das wesentlich davon ab, inwiefern öffentliche Institutionen und Unternehmen digitale Identitäten und Dienstleistungen US-amerikanischer- und chinesischer Konzerne einbinden oder eben nicht. Schon allein die gesetzlich bestehenden Risiken der Herausgabepflichten von Kundendaten an Sicherheitsbehörden dieser Staaten sollten Anlass genug dafür sein, hier einen Riegel vorzuschieben. Von Markt- und Profitlogik getriebene Hektik ist kein guter Berater für eine bedarfsorientierte und soziale Form der Digitalisierung. Die technische Spezifikation der eIDAS-Verordnung befindet sich in einem noch sehr frühen Stadium und es muss damit gerechnet werden, dass die Umsetzung bis 2027 nicht zu schaffen sein wird. Das sehen wir jedoch nicht unbedingt als ein Problem an: Hier werden weitreichende Weichenstellungen getroffen, die die eIDAS-Verordnung offenließ und bei denen die Persönlichkeitsrechte, ein bedarfsgerechter Einsatz und das Recht auf anonyme Internetnutzung hart gegen einflussreiche Wirtschaftslobbyisten und staatliche Überwachungsfreunde verteidigt werden müssen. Wenn dies gelingt, sehen wir gute Chancen, dass sich die EU-DIW ohne weiteren Regulierungsbedarf durchsetzt, weil sie das Vertrauen der Menschen genießt. Die Risiken, dass dieses Ziel verfehlt wird, sind angesichts der politischen Kräfteverhältnisse in der EU jedoch als hoch einzuschätzen.

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Welche Maßnahmen werden Sie ergreifen, um sicherzustellen, dass die Grundwerte des digitalen Raums in Deutschland, wie beispielsweise der Datenschutz, bei der Einführung des EUDI-Wallets eine zentrale Rolle spielen? Wie können deutsche Unternehmen und Expertise unterstützt werden?
Dazu haben wir sehr konkrete Forderungen im Wahlprogramm aufgestellt. Für IT-Sicherheit, Datenschutz und Datensparsamkeit, für informationelle Selbstbestimmung und Barrierefreiheit muss sichergestellt sein: 1), dass private Unternehmen über die Wallet keine hoheitlichen Aufgaben übernehmen können; 2), dass der elektronische Personalausweis als physisch vom Smartphone getrennter Identitätsanker erhalten bleibt und die betroffene Person Nachweise erhöhter Sicherheitsstufe durch "Vorzeigen" der Chipkarte am Smartphone bzw. Lesegerät selbstbestimmt autorisiert; 3), dass die digitale Identität an sich nicht übertragen werden kann, auch nicht in die Wallet, sondern darüber lediglich Identitätsnachweise erfolgen; 4), dass zero-knowledge-proof strikt eingehalten wird, also Nachweise durch minimalen Austausch von Informationen erbracht werden; 5), dass persönliche Daten in der Wallet nicht verknüpfbar sind und Transaktionen mit der Wallet nicht nachverfolgbar sind; 6) dass es keinen Digital- oder App-Zwang geben darf, stattdessen maximale Anbieterunabhängigkeit und ein Recht auf offline-Dienstleistungen im Bereich der Daseinsvorsorge. Der bei der SPRIN-D angelaufene Prozess der technischen Umsetzung wählt in einem Stufenverfahren aus mehreren Lösungswegen aus, in das sich deutsche Unternehmen hoffentlich mit Kompetenzen und Zielstellungen einbringen, wie sie hier aufgeführt sind.

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Welche Maßnahmen planen Sie, um sicherzustellen, dass das die EUDI-Wallet nahtlos in die bestehende Infrastruktur digitaler Identitäten in Deutschland integriert wird und ein funktionierendes Zusammenspiel mit nationalen Lösungen gewährleistet ist?
Dazu muss sich die Bundesregierung mit Vehemmenz auf EU-Ebene in die technische Spezifzierung der Wallet einbringen. Das gelingt, wenn man rechtzeitig gute Vorlagen liefern kann. Es ist deshalb an sich zu begrüßen, dass die Bundesregierung bereits einen recht vernünftigen und relativ transparenten Auswahlprozess für die technische Spezifikation der Wallet gestartet hat, an dem die Zivilgesellschaft immerhin ein wenig mitwirken konnte und kann, was uns Hoffnung gibt dass das Kind noch nicht in den Brunnen gefallen ist. Wir begrüßen und unterstützen die Forderungen, die beispielsweise die Organisation edri.org in diesen Prozess einbringt. Sollte dabei tatsächlich ein Ansatz herauskommen, der digitale Selbstbestimmung und Persönlichkeitsrechte auf wenigstens akzeptablem Niveau wahrt, werden wir ihn nicht daran hindern, in die EU-Umsetzung einzufließen. Aus der Verwaltungsdigitalisierung im föderalen Kontext der Bundesrepublik ist nur zu gut bekannt, wie lähmend und entmutigend fehlende Interoperabilität von Spezifikationen sein können. Deshalb ist es gut und richtig, dass eine Integration in EU-Standards angestrebt wird. Wenn sich die EU jedoch auf eine Umsetzung einigt, die mit der Grundrechtecharta der EU im klaren Widerspruch steht, wird uns nichts anderes übrigbleiben als zu versuchen, den Prozess der Integration zu stoppen.

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Wie wollen Sie seitens des Europäischen Parlaments dazu beitragen, dass im Rahmen der Umsetzung der eIDAS-Novelle möglichst einheitliche Standards im EU-weiten Vertrauensraum entstehen?
Inwieweit einheitliche Standards im EU-weiten Vertrauensraum entstehen, hängt im Wesentlichen davon ab, inwieweit die EU-Kommission einheitliche Spezifikationen in den dafür vorhergesehenen delegierten Rechtsakten umsetzt. Bei diesem Prozess werden wir unsere Kontrollrechte im Europäischen Parlament wahrnehmen und gegebenenfalls Einspruch einlegen, wenn diese Rechtsakte hinter den Ansprüchen der eIDAS-Novelle zurückbleiben.