Wahlprüfstein Europawahl 2024

Sepsis Stiftung

1

In Europa ist jährlich von 3.4 Millionen Sepsisfällen auszugehen, 680000 Betroffene versterben, 75% erleiden Langzeitfolgen. EU Kom. Andriukaitis nannte 2018 Sepsis „The most preventable cause of death and disability“. Was werden sie tun damit Sepsis eine Priorität für die EU Institutionen wird?
Die Linke stimmt überein, dass Sepsis eine massiv unterschätzte Gesundheitsgefahr darstellt und eine Priorität in der Gesundheitspolitik der EU und der Mitgliedstaaten sein muss. Keine andere Erkrankung verursacht so viele vermeidbare Todesfälle. Sie sollte entsprechend einen Schwerpunkt in der Gesundheitspolitik darstellen - insbesondere da die notwendigen Schritte aus der Forschung und internationalen Erfahrung auf dem Tisch liegen. Das sollte ein wesentlicher Schwerpunkt des Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) sein und entsprechend finanziert werden. Dabei muss es insbesondere auch darum gehen, welche organisatorischen Maßnahmen wirksam sind und wie das Wissen um Sepsis und ihre Bekämpfung besser in Fachkreisen und der breiten Öffentlichkeit verankert werden kann.

2

Mit der Resolution WHA70.7 fordert die WHO ihre Mitgliedstaaten auf, Sepsis in nationalen Gesundheitsstrategien zu integrieren. In Europa gilt dies im Gegensatz zu AMR nur für wenige Länder. Was werden sie tun damit Sepsis auf Länder- und nationaler Ebene eine Priorität wird?
Die Linke fordert seit langem einen Nationalen Sepsisplan. Es bedarf hier ein Zusammenwirken aller Ebenen der Gesundheitspolitik, neben der Bundespolitik auch die ärztliche Selbstverwaltung (Fort- und Weiterbildungen), die Hoch- und Berufsschulen (Ausbildungscurricula) bis hin zu Vereinbarungen von Pauschalen zur Vorhaltung spezialisierter Ausstattung in Kliniken. Entscheidend ist auch die Kommunikation in Fachkreisen und der breiten Öffentlichkeit. Hier erwarten wir, dass dies auch ein Schwerpunkt der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung bzw. des angekündigten neuen Instituts für öffentliche Gesundheit sein wird. Wir brauchen hier die Bundesländer und die Kommunen bzw. den Öffentlichen Gesundheitsdienst am Tisch. Diese vielen Ebenen sind nur durch einen Nationalen Sepsisplan zusammen zu bringen. Auch hier wäre es wichtig, dass die EU-Institutionen helfen, Best Practice Bespiele zu kommunizieren und für andere Staaten anwendbar zu machen.

3

Die Sepsissterblichkeit in Europa variiert erheblich. Sie ist in Deutschland z.B. doppelt so hoch wie in Schweden. Fehlende Daten zur Epidemiologie der Sepsis auf nationaler Ebene erschweren Qualitätsvergleiche auf EU und OECD Ebene. Wie ist ihre Strategie zur Überwindung dieser Defizite?
In Bezug auf Sepsis halten wir unter anderem für wichtig, die Daten aus europäischen Staaten vergleichbar zu machen und so best practice-Ansätze zur Bekämpfung von sepsisbedingten Krankheits- und Todesfällen herauszufiltern und übertragbar zu machen. Wir sehen das als eine der wichtigsten EU-Aufgaben in Bezug auf die Sepsis-Bekämpfung an. Auch wenn die Gesundheitssysteme innerhalb der EU sehr verschieden sind, sollte es eine Kultur des voneinander Lernens geben und auch eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die anonymisierten Datensätze incl. der Ergebungsmethodik so weit wie möglich zu vereinheitlichen.

4

In etlichen Ländern haben verbindliche Vorgaben, wie die Vorhaltung von abteilungs-übergreifenden Medizinischen Notfall Teams und systematische Schulung des medizinischen Personals zur Halbierung der Sepsissterblichkeit geführt. Wie kann die EU die Qualitätssicherung befördern?
Bei aller Unterschiedlichkeit der Gesundheitssysteme und der Krankenhausversorgung sollten Qualitätskriterien durch die EU definiert werden. Doch die Qualitätssicherung muss immer vor Ort erfolgen und kann durch die Zuständigkeiten in der Gesetzgebung nicht einfach EU-weit vorgegeben werden. Entscheidend ist jedoch, dass möglichst alle Maßnahmen in den Mitgliedsstaaten sorgfältig evaluiert werden. Das ist wichtig, um zu entscheiden, welche Maßnahmen besonders wirksam sind und welche schnell zu adaptieren sind. Hier sehen wir die EU-Instanzen, etwa das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) als wichtigen Koordinator an. Wir fordern daher, dass die Mittel für das ECDC erheblich aufgestockt werden.

5

Aktuelle Meinungsumfragen mit Allensbach zeigen, dass weniger als 10% der Menschen wissen, dass auch COVID-19 und Influenza eine Sepsis auslösen können und auch das Wissen über Vorbeugungsmöglichkeit und die Frühsymptome gering ist. Welchen Beitrag der EU zur Überwindung dieser Defizite sehen sie?
Die Corona-Pandemie hat noch einmal eindrücklich gezeigt, wie wichtig eine gute Risikokommunikation ist. Hier hat die Bundesregierung vollkommen versagt, nicht zuletzt weil die wichtigste Institution dafür, die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, kaum involviert wurde. Es bedarf auch in Bezug auf Sepsis, einer professionellen Kommunikation, die sowohl breite Öffentlichkeit als auch die Fachöffentlichkeit dazu befähigt, sachgerecht auf die Risiken, die mit Sepsis einhergehen, zu reagieren. Bei allen kulturellen Unterschieden innerhalb der EU, auf die in der Kommunikation Rücksicht genommen werden muss, braucht es auch hier ein "Voneinander lernen" und die Evaluation und Aufarbeitung von Best Practice Beispielen. Hier sollten EU-Institutionen, etwa das ECDC, eine zentrale Rolle spielen.

6

Die EU Kommission kommuniziert, dass jedes Jahr in Europa 35000 Todesfälle auf antimikrobielle Resistenzen (AMR) zurückzuführen sind. Der Bezug zu den jährlich 680000 Sepsis Toten fehlt. Unterstützen Sie die Forderung der G7 Gesundheitsminister die Synergien im Kampf gegen Sepsis und AMR zu nutzen?
Antimikrobielle Resistenzen und Sepsis hängen eng miteinander zusammen. Selbstverständlich sollten die Strategien im Kampf gegen beide Problemfelder jeweils miteinander verzahnt werden. Während die antimikrobiellen Resistenzen zurecht viel Aufmerksamkeit erhalten haben, gibt es beim Thema Sepsis erheblichen Nachholbedarf.

7

Im EU Fact Sheet zu AMR wird der Bezug von AMR zur Pandemien betont, es fehlt jedoch der Hinweis aus der WHO Sepsis Resolution, dass die Todesursache infolge von AMR und auch Pandemien Sepsis ist. Unterstützen sie integrative Infektionsmanagementstrategien auf nationaler und internationaler Ebene?
Dass der Zusammenhang zwischen Sepsis und Epidemien von Infektionskrankheiten nicht allgemein bekannt ist, beweist den erheblichen Nachholbedarf, den es in Bezug auf Sepsis gibt. Eine Voraussetzung dafür ist, dass es auch in den Regierungen und Behörden ein stärkeres Bewusstsein für die Zusammenhänge gibt und diese in die Gegenstrategien einbezogen werden. Das gilt für die deutsche ebenso wie für die europäische Ebene.

8

In dem Fact Sheet zu AMR wird darauf hingewiesen, dass durch Horizon 2020 über 700 Millionen€ für AMR Forschung bereitstehen. Welche Möglichkeit sehen Sie, dass angesichts der weit höheren Zahl an nicht AMR bedingten Sepsis Todesfällen, die EU Forschungsförderung angepasst werden kann?
Die Linke setzt sich für einen Paradigmenwechsel in der Forschungsfinanzierung ein. Der starke Fokus auf produktbezogene Forschung (Arzneimittel, Medizinprodukte etc.) sollte erweitert werden durch mehr Public Health Forschung, Gesundheitssystemforschung und nicht-medikamentöse Therapiemethoden. Da es hier keine lukrativen Patente gibt, muss die nicht-kommerzielle Forschung insgesamt einen größeren Stellenwert einnehmen - auch um bislang vernachlässigte Arzneimittel-Forschung, etwa für neue Antibiotika, durchzuführen. Für den Bundeshaushalt fordern wir dazu jährlich 2 Milliarden Euro. Auch für den EU-Haushalt setzen wir uns für einen grundlegenden Wandel in diese Richtung ein. Wir fordern mehr Forschung darüber, welche systemischen Maßnahmen helfen, Sepsisfälle zu vermeiden und die Zahl von Todesfällen durch Sepsis zu verringern.