Wahlprüfstein Europawahl 2024

Eberhard-Schultz-Stiftung

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Wie stehen Sie zur Europäischen Säule sozialer Rechte und ihrer Fortentwicklung? Welche konkreten Maßnahmen wollen Sie dazu in Angriff nehmen und mit den beteiligten NGOs zusammen umsetzen?
Die Europäische Säule sozialer Rechte ist eine wichtige Errungenschaft und muss ausgebaut werden. Die neoliberalen Maastricht-Kriterien, der Stabilitäts- und Wachstumspakt und der Fiskalpakt müssen grundsätzlich überarbeitet und die Verträge geändert werden, damit soziale Rechte Vorrang vor Unternehmensfreiheiten bekommen. Wir fordern eine soziale Fortschrittsklausel, um den grundsätzlichen Vorrang von sozialen Grundrechten und dem Streikrecht vor der Binnenmarktfreiheit zu sichern. Eine wirksame Kindergrundsicherung muss zentraler Baustein der Europäischen Kindergarantie sein. Wir wollen eine europaweite Mindestrente, die garantiert, dass alle im Alter sicher vor Armut sind. Wir setzen uns für eine Richtlinie für eine europäische Erwerbslosenversicherung ein. Wir wollen eine soziale Absicherung, die europaweit in allen Lebenslagen sicher gegen Armut schützt. Riesige Vermögen, Kapitelerträge und Konzerngewinne müssen stärker besteuert werden, damit ausreichend Geld zur Verfügung steht.

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Was wollen Sie konkret unternehmen, damit die völkerrechtlich verbindlichen Sozialen Menschenrechte nach dem UN-Sozialpakt von 1966 endlich in allen europäischen Ländern vor allem Deutschland tatsächlich umgesetzt werden? Wie soll darüber Bericht erstattet und die Umsetzung kontrolliert werden?
Die Linke fordert seit langem die Ratifizierung des Zusatzprotokolls des Sozialpaktes. Als Teil der Umsetzung sollten alle bisherigen Gesetze und Maßnahmen überprüft und überarbeitet werden, um Diskriminierungen oder direkte und indirekte Behinderung in diesen Gesetzen beim Zugang zu sozialen Rechten abzubauen. Die völkerrechtlichen Standards müssen gesetzlich verbindlich werden. Damit würden diese Rechte individuell einklagbar. Zudem muss ein Verbandsklagerecht geschaffen werden. NGOs, Verbände und soziale Träger sollten direkt in die Berichterstattung eingebunden werden, da sie die Bedarfe und Probleme direkt vor Ort erleben. Sie können konkrete Defizite aus der Sicht von Betroffenen und Bürger*innen aufzeigen, aus denen sich konkrete Handlungsoptionen ableiten lassen. Diese Berichte sollten nicht nur ergänzend den Regierungsberichten beigefügt werden, sondern verpflichtend in den zuständigen parlamentarischen Ausschüssen im Europaparlament und im Bundestag behandelt werden.

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Was wollen Sie konkret unternehmen, damit das Soziale Menschenrecht auf angemessene Wohnung zu erschwinglichen Preisen für Alle endlich auch in Deutschland verwirklicht wird?
Wir wollen Investitionen in sozialen und gemeinnützigen Wohnungsbau europaweit stärken. Der Bau von Sozialwohnungen muss dauerhaft in die Hand gemeinnütziger Akteure gelegt werden. Öffentlich geförderte Wohnungen müssen dauerhaft sozialgebunden bleiben. Das EU-Beihilferecht muss geändert werden, sodass die Bevorzugung von gemeinnützigem Wohnraum nicht mehr von der EU behindert wird. Wir setzen uns für einen europäischen Kommunalisierungsfonds ein, auf den die Kommunen zugreifen können, um beispielsweise Wohnungsbestände von Immobilienkonzernen in öffentliche Hand zu übernehmen. Wohnungen dürfen keine Spekulations- und Renditeobjekte sein. Wir wollen ein Investitionsverbot von Fonds in Wohnraum und Wohnungsunternehmen. Wir setzen uns für verbindliche Mietobergrenzen in der gesamten EU, besseren Kündigungsschutz für Mieter*innen und ein Verbot von Zwangsräumungen ein. Wir wollen die Bodenpreise deckeln, um das Vorkaufsrecht für Kommunen zu stärken, damit sie selbst mehr Wohnungen bauen können.
Themen: Wohnen

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Wie kann das Soziale Menschenrecht auf optimale Gesundheitsversorgung für Alle in den reichen Ländern wie Deutschland konkret umgesetzt werden – also auch für Asylbewerber:innen und Menschen ohne festen Aufenthaltsstatus?
Gesundheitsversorgung und Pflege müssen am Bedarf der Menschen ausgerichtet werden, nicht an der Profitabilität oder Wirtschaftlichkeit der Behandlung. Krankenhäuser und Pflegekonzerne dürfen keine Gewinne ausschütten, Überschüsse müssen zurück in die Versorgung fließen. Statt Fallpauschalen sollten die tatsächlichen notwendigen Kosten erstattet werden. Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen gehören zurück in öffentliche und gemeinnützige Hand. Eine solidarische Gesundheits- und Pflegeversicherung, in die alle mit allen Einkommen einzahlen, ermöglicht niedrigere Beiträge für die meisten und eine gute Behandlung für alle statt der bestehenden Zweiklassenmedizin. Die Europäische Krankenversicherungskarte muss niedrigschwelligen und diskriminierungsfreien Zugang zur Gesundheitsversorgung in anderen EU-Ländern sicherstellen. Den Ausschluss von Menschen ohne Aufenthaltserlaubnis aus der Gesundheitsversorgung in Deutschland wollen wir beenden. Ein Schritt dahin sind ein Härtefallfonds und ein anonymer Krankenschein für die Behandlung von Menschen ohne Absicherung, wie es Berlin 2020 unter Beteiligung der Linken eingeführt hat. Gesundheitsversorgung und Pflege müssen in der EU dem Wettbewerbsrecht und Binnenmarkt entzogen werden.

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Wollen Sie die Erklärung der Menschenrechts-Kommission des Europarats vom 19.03.24 Ihrer Tätigkeit zugrunde legen, die von Deutschland wichtige Verbesserungen beim Schutz von Menschenrechten und dem Zugang zu den sozialen Rechten fordert, um so die wachsende soziale Spaltung aufzuhalten?
Ja. Wir wollen soziale Rechte für alle durchsetzen und den Reichtum in diesem Land umverteilen, denn nur so kann der gesellschaftliche Zusammenhalt wieder gestärkt werden. Zahlreiche in der Erklärung benannten Punkte finden sich in unserem Wahlprogramm und in unserer täglichen politischen Arbeit wieder. So machen wir uns für eine armutsfeste Kindergrundsicherung stark und haben zum Beispiel einen Sechs-Punkte-Plan zur besseren Unterstützung Alleinerziehender vorgelegt. https://www.die-linke.de/start/nachrichten/detail/alleinerziehende-besser-unterstuetzen/ Wir setzen uns ein für das Recht auf Wohnen und gegen Zwangsräumungen. Wir wollen Einkommensungleichheit beenden und streiten für eine sanktionsfreie Mindestsicherung, die vor Armut schützt. Behörden und Beratungsstellen müssen gestärkt werden, um Diskriminierung beim Zugang zu Wohnraum zu beenden und soziale Teilhabe zu stärken. Der Erzählung, dass von Armut Betroffene ihre Situation selbst verursacht hätten, stellen wir uns entgegen.

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Was unternehmen Sie, um den strukturellen und institutionellen Rassismus in den Behörden, insbesondere Bundeswehr, Polizei, Nachrichtendiensten und Ausländerbehörden, aber auch in Bildungseinrichtungen und der Justiz wirksam zu bekämpfen?
Wir haben uns für die Einführung von Antidiskriminierungs- und Partizipationsgesetzen eingesetzt und dort, wo wir an der Regierung beteiligt waren, sie mit ausgestaltet. Wir wollen auch auf Bundesebene ein Partizipationsgesetz, um Menschen mit Rassismuserfahrung besser einzubeziehen und mehr in der Gesellschaft zu repräsentieren. Gegen Rassismus und Korpsgeist bei der Polizei sind eine unabhängige Beschwerde- und Ermittlungsstelle auf Bundesebene, eine Kennzeichnungspflicht, eine Überarbeitung der Ausbildung sowie Rotationsmodelle für geschlossene Einheiten nötig. Beamt*innen, denen rassistisches, sexistisches oder homofeindliches Verhalten nachgewiesen wird, müssen konsequent disziplinarisch verfolgt werden, gegebenenfalls bis zur Entlassung aus dem Dienst. Um Racial Profiling zu verhindern müssen verdachtsunabhängige Kontrollen auf der Basis von Gummiparagrafen wie im Bundespolizeigesetz gestrichen werden. Die Empfehlungen der Europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz und der Agentur für Grundrechte müssen in den Mitgliedstaaten umgesetzt werden. Werden sie nicht umgesetzt, müssen Sanktionen folgen. Der EU-Aktionsplan gegen Rassismus soll über 2025 hinaus verlängert werden. Vertreter*innen der von Rassismus bedrohten Gruppen, Expert*innen und Wissenschaftler*innen müssen einbezogen werden.
Themen: Rassismus

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Wie wollen Sie die Rechtsprechung des UN-Ausschusses zur Beseitigung der Rassendiskriminierung und des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte umsetzen, dass rassistische Beleidigungen und Volksverhetzung nicht durch die Meinungs- oder Pressefreiheit gerechtfertigt sein können?
Mit Verweis auf die Meinungsfreiheit werden rassistische, sexistische, homophobe oder andere menschenverachtende Beleidigungen und Volksverhetzung nicht immer mit der notwendigen Sorgfalt verfolgt. Das sehen wir mit Sorge. Gleichzeitig erleben wir zunehmend autoritäre Angriffe auf die Meinungs- und Pressefreiheit in ganz Europa, denen wir uns entgegen stellen müssen. Alle Betroffenen sollten bei der Entwicklung, Umsetzung und Bewertung aller Maßnahmen einbezogen werden. Neben gesetzlicher Regulierung und Rechtsdurchsetzung muss flächendeckend die Erfassung von Hassrede, Beratung und Stärkung von Gegenrede gefördert werden. Bei sogenannten Sozialen Medien brauchen wir Transparenz und Regeln für die Algorithmen, damit nicht mehr bevorzugt skandalträchtige Beiträge statt sachlicher Berichte vorgeschlagen werden, um Nutzer*innen zum längerem Verbleib auf dem Plattformen zu bewegen. Deshalb setzt sich Die Linke dafür ein, gemeinwohlorientierte Plattformen zu fördern.

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Wie können in der gegenwärtigen Situation von Krisen und Kriegen (Ukraine und Naher Osten) Frieden und sofortiger Waffenstillstand durchgesetzt werden, ohne dass etwaige Kriegsverbrechen von einer Seite mit Kriegsverbrechen von der anderen Seite beantwortet werden?
Kriegsverbrechen finden im Krieg statt, deshalb müssen Kriege enden. Leider wissen wir aus vielen Kriegen, dass insbesondere kurz vor dem Inkrafttreten von Waffenstillständen besonders rücksichtslose Brutalität aufflammt und die letzte Chance für Rache in Form von Kriegsverbrechen ergriffen wird. Sowohl in der Ukraine als auch im Nahen Osten gibt es derzeit dagegen von außen kaum eine Handhabe. Auch UN-Missionen zur Überwachung von Waffenstillständen setzten diese voraus. Um Krieg beenden, muss das Fortführen von Kriegen für die kriegführenden Parteien unattraktiv gemacht werden und zugleich bedarf es Nachkriegsperspektiven, die den beteiligen Parteien eine Perspektive bieten, unter gegenseitiger Wahrung ihrer berechtigten Interessen miteinander zusammenzuleben. Dazu sind breit aufgestellte diplomatische Verhandlungsformate nötig. Gezielte Sanktionen gegen die militärisch-industriellen Kapazitäten kriegführender Parteien sind zu überprüfen. Als Linke setzen wir uns dafür ein, dass Bemühungen um Verhandlungen oberste Priorität haben und sich die Kriegslogik nicht durchsetzt. Dazu müssen auch Deutschland und die EU ihren Teil beitragen und deutlich stärker auf die kriegsführenden Parteien einwirken als bisher. Für einen schnellen Waffenstillstand braucht es breiten internationalen Druck und für die Umsetzung und Überwachung eine Stärkung der Rolle der UN. Waffenexporte wollen wir verbieten.
Themen: Außenpolitik