Wahlprüfstein Europawahl 2024

Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen

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Wie stehen Sie zur Einrichtung eines Klimarates, zusammengesetzt aus zufällig ausgelosten Bürgerinnen und Bürgern, auf europäischer Ebene (ähnlich dem französischen Modell von 2019-2020 oder dem österreichischen Modell von 2022)?
Wir haben nur eine Chance, die Klimakrise aufzuhalten, wenn wir es schaffen, Mehrheiten zu überzeugen. Die Einrichtung eines europäischen Klimarates oder ähnliche demokratische Formate können ein Teil davon sein. Den Beteiligten in Klimaräten ist es bisher gelungen, verschiedene gesellschaftliche Interessen abzuwägen und geeignete Maßnahmen für sozial gerechten Klimaschutz zu empfehlen. Es besteht allerdings die Gefahr (wie in Österreich und Frankreich), dass die Maßnahmen im Anschluss von der Politik nicht umgesetzt werden. Ein Klimarat simuliert dann eine schöne Debatte, aber leider ohne Effekt. Im schlimmsten Fall kostet es wertvolle Zeit im Kampf gegen die Klimakrise. Denn die nötigen Maßnahmen liegen auf dem Tisch: Ausbau des öffentlichen Verkehrs mit billigen Preisen, Ausbau von gemeinnütziger Erneuerbare Energie, Industrie umbauen im Sinne der Beschäftigten, Luxuskonsum wie Privatjets verbieten. Es geht darum, all dies gegen die Interessen der Reichen und Konzerne umzusetzen.

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Sind Sie dafür, dass die EU auch künftig selbst keine Schulden (z.B. Eurobonds) machen darf? Halten Sie die Schuldenbremsen, so wie sie sich europäische Länder (z.B. Deutschland) nach der Finanzkrise 2009 in ihre Verfassungen geschrieben haben, für erhaltenswert?
Nein, wir setzen uns für eine eigene Schuldenaufnahme der EU ein. Wir kämpfen für eine starke, unabhängige EU, die den sozialen und ökologischen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft organisiert. Für die Finanzierung soll die EU eigene Kredite an den Finanzmärkten aufnehmen, für die sie selbst haftet. Der Vorteil: Die Konditionen sind besser und es werden gemeinsame Klimaschutz-Projekte gefördert. Nein, wir halten die strengen Fiskalregeln nicht für erhaltenswert. Die europäischen Fiskalregeln – wie die deutsche Schuldenbremse – haben wichtige öffentliche Investitionen verhindert. Angesichts der Krisen unserer Zeit braucht es eine dauerhafte und zielgerichtete Investitionspolitik in die Zukunft der Menschen: Umbau der Wirtschaft, Klimaschutz, Bildung, sozialer Wohnbau und Ausbau von Bus und Bahn. Um ausreichend Investitionen zu ermöglichen, die einen nachhaltigen Mehrwert heute und in Zukunft für die Gesellschaft haben, wollen wir europäischen Fiskalregeln grundsätzlich überarbeiten.

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Sind Sie dafür, das Budget für Bildungsprogramme (z.B. ERASMUS+) an EU-Universitäten zu erhöhen? Sind Sie dafür, dass auch weiterhin junge Menschen zum 18. Geburtstag ein Interrail-Ticket (Discover EU) geschenkt bekommen können, damit sie sich mit dem Kontinent vertraut machen können?
Die Linke hat sich beim letzten EU-Haushalt erfolgreich dafür eingesetzt, dass die Mittel für Erasmus+ fast verdoppelt wurden. Wir hatten sogar eine Verdreifachung vorgeschlagen. Wir sehen in Erasmus+ eine wichtige Chance für junge Menschen und Bildungseinrichtungen, Europa persönlich zu erleben. Zudem werden jetzt Menschen mit weniger Geld und Menschen mit Behinderungen und besonderen Bedürfnissen besonders gefördert, damit alle von europäischem Austausch profitieren können. Wir unterstützen das geschenkte Interrail-Ticket zum 18. Geburtstag. Allerdings profitieren Jugendliche, deren Eltern mehr Geld haben, oft stärker davon, denn nicht alle können es sich leisten, mit 18 durch Europa zu reisen. Die Linke kämpft für Umverteilung von Reichtum und Einkommen, damit alle in Europa ein auskömmliches Leben führen können - und 18-Jährige ein geschenktes Interrail-Ticket auch nutzen können. Zudem ist klar: Zugfahren ins europäische Ausland ist zu teuer und muss bezahlbar werden.

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Wie wollen Sie sicherstellen, dass die europäische Agrarwirtschaft im Rahmen ihrer Nahrungsmittelherstellung auch ihrer bedeutenden Rolle beim Klimaschutz und dem Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen nachkommt?
Die Linke kämpft für eine ökologisch nachhaltige Landwirtschaft, die nicht große Konzerne in den Mittelpunkt stellt, sondern die Versorgung der Menschen mit guten Lebensmitteln. Landwirtschaft, die das Klima und die Natur schont und mit Tierschutz vereinbar ist. Und dafür, dass die Menschen, die in der Landwirtschaft arbeiten, davon gut leben können. Die Linke setzt sich für eine grundlegende Reform der EU-Agrarpolitik ein: Zahlungen müssen an Umwelt- und Sozialkriterien und Tierschutz gebunden werden, denn die bisherige Kopplung an die Fläche setzt falsche Anreize und begünstigt die Großbetriebe, bei denen Umwelt- und Klimaschutz meistens zu kurz kommt. Wir wollen faire Mindesterzeugerpreise für Bäuer*innen und die Preisexplosion bei Lebensmitteln aktiv bekämpfen. Leitendes Prinzip linker Agrarpolitik ist eine auf das Gemeinwohl orientierte Landwirtschaft, die auf Ernährungssouveränität und eine Produktion von Lebensmitteln im Einklang mit Wildnis und Klimaschutz ausgerichtet ist.

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Welche arbeitsmarktpolitischen Aktivitäten planen Sie, um die strukturelle Diskriminierung junger Menschen auf dem freien Arbeitsmarkt und im öffentlichen Dienst zu bekämpfen? Inwiefern plant Ihre Partei, Europa als Wirtschaftsstandort für junge Gründer und Gründerinnen attraktiver zu machen?
Die Linke setzt sich für deutlich mehr öffentliche Investitionen in Bildung und Ausbildung ein, damit alle jungen Menschen gut in den Beruf starten können. In Deutschland hat fast ein Fünftel der 20-35-Jährigen keinen Berufsabschluss. Das sind 2,9 Millionen Menschen, denen Chancen für die Zukunft vorenthalten werden. Schon in der Schule haben in Deutschland Kinder aus weniger privilegierten Familien schlechtere Chancen als in anderen europäischen Ländern. In Deutschland hängt der Bildungserfolg von Kindern weit stärker als in anderen Ländern vom familiären Hintergrund ab. Jede*r Fünfte verlässt in Deutschland die Schule ohne ausreichend lesen zu können. Das ist in einem reichen Land ein Skandal. Jedes Jahr suchen zehntausende Jugendliche vergeblich einen Ausbildungsplatz. Immer weniger Unternehmen bilden aus, trotz Fachkräftemangel. Die Linke setzt für eine Ausbildungsplatzumlage ein, die ausbildungswillige Betriebe unterstützt und Betriebe, die nicht ausbilden, an den Kosten beteiligt.

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Digitale Lösungen können zur Bewältigung großer Herausforderungen beitragen, enthalten aber auch Risiken. Wie wollen sie mit der Gefahr von Fake News durch soziale Medien umgehen? Planen Sie strengere Vorgaben für die Algorithmen von TikTok oder ähnliche Apps?
Ja. Die Linke setzt sich für ein radikales Umdenken hin zu gemeinwohlorientierten Plattformen und wirklich sozialen Netzwerken ein anstelle der Profitmaschinen der Konzerne. Nur wenn die Algorithmen der Plattformen nachvollziehbar sind, können Nutzer*innen verlässlich geschützt werden. Unternehmen haben in der Regel kein Interesse daran, sondern programmieren ihre Anwendungen so, dass Nutzer*innen möglichst lange auf der Plattform bleiben. Damit fördern sie Sucht, Desinformation und Filterblasen. Entscheidungsfreiheit, freie Meinungsbildung und informationelle Selbstbestimmung gehen verloren. Wir wollen deshalb gemeinnützige Geschäftsmodelle stärken, die keinen Anreiz haben, ihre Nutzer*innen zu manipulieren. Dazu gehört auch ein starker Datenschutz. Algorithmen müssen reguliert und offengelegt werden. Medien- und Datenschutzkompetenz von Kindern und Jugendlichen muss möglichst früh flächendeckend gefördert werden.

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Wie stehen Sie zur Einführung von Jugend- oder Nachwuchsquoten (Prozentsatz von neuen Kandidierenden) in Ihrer eigenen Partei? Unterstützen Sie länderübergreifende Teilhabe-Initiativen für junge Menschen, wie beispielsweise ein EU-weites Jugendparlament?
Die Linke steht dafür ein, dass alle Menschen politisch vertreten werden. Wir setzen uns besonders für diejenigen ein, die wegen ihres sozialen Status, ihrer Herkunft, Sprache, Religion, ihres Geschlechts oder Alters weniger gesehen oder gar diskriminiert werden. Die Linke stellt ihre Wahllisten quotiert nach Geschlecht auf, so dass immer zur Hälfte Frauen gewählt werden. Um neuen Kandidierenden systematisch Raum auf den Wahllisten zu schaffen, hat der Parteivorstand einen Diskussionsprozess in der Partei über die Begrenzung von Mandatszeiten beschlossen. Anschließend wird ein Parteitag über eine Änderung der Satzung und der Wahlordnung der Linken entscheiden. Ein Europäisches Jugendparlament unterstützen wir als Lernort für die Demokratie. Über die Demokratie in Europa muss immer wieder offen und ernsthaft diskutiert werden - in den Parlamenten der Mitgliedstaaten, im Europäischen Parlament und in der Öffentlichkeit. Dazu trägt das Europäische Jugendparlament bei.
Themen: Demokratie

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Sind Sie dafür, dass deutsche Politiker und Politikerinnen, die ins EU-Parlament einziehen, während ihrer Mandatszeit in die Deutsche Rentenversicherung einzahlen (anstatt vom Deutschen Staat einen Anspruch auf eine Abgeordnetenpension zu bekommen)?
Ja. Wir setzen uns dafür ein, dass alle Menschen mit Erwerbseinkommen - also auch die Abgeordneten in den verschiedenen Parlamenten, die Beamtinnen und Beamten, die Freiberuflichen und Selbstständigen, die (Spitzen-)Managerinnen und Manager - in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen. Eine solche Ausweitung der gesetzlichen Alterssicherung - die wir als "Solidarische Erwerbstätigenversicherung" bezeichnen - würde mittelfristig die Finanzen der gesetzlichen Rentenversicherung stabilisieren.