Wahlprüfstein Europawahl 2024

Deutscher Raiffeisenverband e.V.

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Welche Bedeutung hat für Sie die Rechtsform der Genossenschaft in der wirtschaftlichen Entwicklung ländlicher Räume und mit welchen Maßnahmen möchten Sie die positive Entwicklung von Genossenschaften fördern und die Rechtsform stärken?
Die Linke setzt auf klare Vorgaben und will nachhaltige Alternativen stärker fördern: mit öffentlichem Geld, das dann auch zu öffentlichem Eigentum und Beteiligungen führt. Darum wollen wir Genossenschaften und kollektives Eigentum an Betrieben auch in ländlichen Räumen fördern. Regionale Produkte und Vertriebsstrukturen stärken wir, indem wir Produktions- und Vertriebsgenossenschaften miteinander verbinden. Graswurzelbewegungen, die regionale Wertschöpfungsstrukturen etablieren möchten, sollen von den Regionalmitteln der EU profitieren. Wir wollen die Investitionen in den sozialen und gemeinnützigen Wohnungsbau europaweit stärken. Gemeinnütziger Wohnraum wird dezentral vor Ort geschaffen: Kommunen, Genossenschaften und selbstverwaltete Wohnprojekte müssen dabei rechtlich und finanziell von der EU unterstützt werden. Wir schlagen weiter vor, leerstehende Gewerberäume in kommunale oder genossenschaftliche Hand zu überführen und als soziale Zentren zu nutzen. Diese Orte sollen der Begegnung dienen und grundlegende Dienstleistungen wie Post und Bank anbieten. Sie können Räume für zivilgesellschaftliche Initiativen, gemeinsames Kaffeetrinken, Diskussionsrunden, Kulturveranstaltungen, Beratung und vieles mehr bereithalten.

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Wie werden Sie gewährleisten, dass neue Regelungen zur Grünen Taxonomie bzw. Sustainable Finance die Kreditversorgung der Land- und Ernährungswirtschaft nicht gefährden und das Genossenschaftsmodell als besonders nachhaltige Wirtschaftsform anerkannt wird?
Banken müssen verkleinert und das Investmentbanking muss abgewickelt werden. Als erster Schritt soll das Investmentbanking von den anderen Geschäftsbereichen isoliert werden. Nach dem Vorbild von Sparkassen und Genossenschaftsbanken müssen Banken in Gemeineigentum überführt und demokratisch verwaltet und kontrolliert werden. Alle Banken sollen sich einem Geschäftsmodell verpflichten, das den Bedürfnissen der Gesellschaft und der Realwirtschaft dient: 1. Angebote im Bereich Zahlungsverkehr, 2. einfachere und sichere Sparinstrumente und 3. Finanzierung öffentlicher und privater Investitionen. Modelle mit unterschiedlichen Eigentumsformen müssen gefördert werden: Eigentümerschaft von Kommunen, von Beschäftigten oder von Bürger*innen – vom klassischen Regiebetrieb über Stadtwerke bis hin zu Genossenschaften. Gemeinsame Bedingung für eine Förderung ist eine gemeinnützige Ausrichtung: Überschüsse und Gewinne dürfen nicht entnommen, sondern müssen reinvestiert werden. Im Falle einer kommunalen Trägerschaft ist eine Abgabe an den öffentlichen Haushalt der Kommune möglich. Auf dieser Grundlage ist auch eine nachhaltige Finanzwirtschaft bzw. Finanzierung möglich.

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Wie werden Sie die Notwendigkeit einer sicheren und bezahlbaren Energieversorgung mit den ambitionierten Klimazielen der EU in Einklang bringen, um Wettbewerbsgleichheit der Unternehmen innerhalb der EU zu gewährleisten und europäische Unternehmen im internationalen Wettbewerb zu stärken?
Der Energiebinnenmarkt der EU leitet Strom und Gas durch ganz Europa und vermarktet sie über Börsen. Wir wollen dagegen Strom aus dem Stadtwerk, den kommunalen Solar- oder Windkraftanlagen. Durch ein massives Förderprogramm müssen Stadtwerke, kommunale Energieversorger und genossenschaftliche Initiativen beim Aufbau von Wärmenetzen unterstützt werden. Mit Energieversorgung aus öffentlicher Hand werden bezahlbare und sozial gestaffelte Preise möglich. Wir kämpfen für eine Versorgung mit Strom und Wärme, nicht in der Hand von Konzernen, sondern von Bürger*innen, von Kommunen und Genossenschaften. Wir wollen ihre Erzeugung und Verteilung so dezentral wie möglich und so zentral wie nötig organisieren.

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Welche bürokratiesenkenden Maßnahmen planen Sie in der kommenden Wahlperiode für die Agrar- und Ernährungswirtschaft insbesondere für KMU und wie stellen Sie sicher, dass wichtige Nachhaltigkeitsprojekte (bspw. CSDDD, EUDR, Taxonomie) nicht zu einem weiteren Bürokratieaufwuchs führen?
Unnötige Bürokratie abbauen ist richtig: Die zweckgerechte Verwendung öffentlicher Mittel muss dennoch weiter dokumentiert werden und überprüfbar sein. Umwelt-, Klimaschutz und Rechte für Beschäftigte dürfen nicht unter dem Deckmantel des Bürokratieabbaus verringert werden. Wir wollen Regelungen übersichtlich, einfach und transparent gestalten, um den bürokratischen Aufwand zu verringern. Die bisher unübersichtliche Vielzahl von Förderprogrammen der EU wollen wir deshalb zusammenlegen und den Zugang vereinfachen. Der administrative Aufwand für Unternehmen kann außerdem durch mehr digitale Verfahren deutlich verringert werden. Gut ausgestattete öffentliche Verwaltungen (mit ausreichend Personal und aktuellen IT-Systemen) reduzieren zudem den Zeitaufwand für Unternehmen. An vielen Stellen haben in den vergangenen Jahren kaputt gekürzte öffentliche Verwaltungen zu höherem Zeitbedarf geführt. Das wollen wir ändern für eine gut funktionierende Zusammenarbeit zur Zufriedenheit aller Beteiligten.

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Welche Schwerpunkte wollen Sie bei der Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik nach 2027 setzen und werden Sie hierbei die besondere Situation der Erzeugerorganisationen Obst und Gemüse berücksichtigen sowie die bestehenden Junglandwirteförderung in juristischen Personen ausbauen?
Wir wollen eine sozialökologische Landwirtschaft im Einklang mit der Entwicklung der ländlichen Räume insgesamt. Dazu muss auch die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der EU ab 2027 nach dem Prinzip „Öffentliches Geld für öffentliche Leistungen“ umgebaut werden. Agrarwirtschaft soll heute mehr leisten als Produktion von Lebensmitteln und nachwachsenden Rohstoffen. Die Gesellschaft verlangt die Einhaltung von Sozial-, Umwelt- und Tierschutzstandards, fordert eigenständige Beiträge zum Klimaschutz, zum Erhalt der biologischen Vielfalt, zur Pflege von Kulturlandschaften und mahnt faire globale Handelsbeziehungen an. Es geht um eine Agrarwirtschaft im Einklang mit natürlichen Ressourcen und funktionsfähigen Ökosystemen. Das alles setzt natürlich voraus, dass es neben einem ordnungspolitischen Rahmen auch eine geeignete Förderpolitik gibt, gerade für regionale, genossenschaftlich organisierte Erzeugergemeinschaften, dezentrale Verarbeitungskapazitäten und Eigenvermarktungsstrukturen. Landwirtschaftliche Produktion, Ökosystemdienstleistungen und ländliche Entwicklung müssen verlässlich, auskömmlich und planbar finanziert werden. Wir wollen die GAP erhalten, aber im Sinne dieser genannten Eckpunkte entwickeln. Die Förderung von jungen Landwirt*innen wollen wir ausweiten. Die pauschale Förderung von Junglandwirt*innen der GAP wollen wir in der gesamten EU durch eine nicht flächengebundene Förderung ersetzen.

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Nach der Ablehnung der SUR: Wie wollen Sie eine einheitliche europäische Regelung des Einsatzes und der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln umsetzen und wie wird dies mit der angestrebten Erhöhung des Selbstversorgungsgrades von pflanzlichen Erzeugnissen in der EU in Einklang gebracht?
Wir wollen den Einsatz von chemischen Schädlingsbekämpfungsmitteln und chemischen Unkrautvernichtern drastisch reduzieren. Eine Aufteilung in Schutz- und Schmutzgebiete lehnen wir ab. Pflanzenschutzmittel und vielgliedrige Fruchtfolgen müssen verringert werden. Wir setzen uns für das Grundprinzip des integrierten Pflanzenschutzes ein: Vorrang für biologische, züchterische sowie anbau- und kulturtechnische Maßnahmen vor chemischen Mitteln. Wir stellen uns gegen eine Verlängerung der Zulassung für Glyphosat, das von der WHO als wahrscheinlich krebserregend eingestuft wurde. Wir fordern ein Produktions- und Exportverbot von hochgefährlichen Wirkstoffen für Pflanzenschutzmittel. Die Monopole und Oligopole bei Saatgut, Agrochemie und Düngemittelindustrie, in der Lebensmittelherstellung und im Lebensmittelhandel müssen zerschlagen werden. Die Entwicklung sicherer Pflanzenschutzmethoden wollen wir fördern.

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Mit welchen Maßnahmen werden Sie für Wettbewerbsgleichheit im europäischen Binnenmarkt sorgen (Level Playing Field) insbesondere im Bereich der Standards von Tierhaltung und Tiertransporten, bei Regelungen zum Tierwohl und einer einheitlichen Herkunftskennzeichnung tierischer Erzeugnisse?
Wir setzen uns für eine EU-weite transparente und verlässliche Herkunfts-, Nachhaltigkeits- und Regionalkennzeichnung ein (Sustainable Food System Law). Wir fordern verbindliche Kriterien und Kontrollen für die landwirtschaftliche Tierhaltung und setzen uns für ein Käfighaltungsverbot ein. Dafür haben wir mit der europäischen Bürger*inneninitiative gegen Käfige erfolgreich gestritten, jetzt muss es Gesetz werden. Den Umbau hin zu einer Klima-, Umwelt- und tierschutzverträglichen Tierhaltung wollen wir sozial gerecht gestalten mit Diversifizierungs- und Entschuldungsprogrammen. Die Spekulation mit bei Nahrungsmitteln, die wenige Reiche reicher macht, muss verboten werden, damit die Menschen in Europa und weltweit nicht wegen hoher Lebensmittelpreise hungern müssen.

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Welchen Beitrag soll die Europäische Union leisten, um die Digitalisierung und die Vernetzung in der Landwirtschaft voranzutreiben, diese rascher zu etablieren und damit innovative Neuentwicklungen zu fördern?
Das Potential vieler digitaler Agrartechnologien kann erst ausgeschöpft werden, wenn ein reibungsloser Datenfluss und ein einfacher Zugriff auf externe Geodaten und andere Datenbestände (z.B. beim Wetter) erfolgt. In Deutschland fehlt insbesondere im ländlichen Raum häufig eine vernünftige Breitbandversorgung. EU-Mittel können hier helfen, den Ausbau in kommunaler Hand voranzubringen. Für landwirtschaftliche Anwendung von Sensordatenfusion (z.B. von automatischer Umfelderfassung von Landmaschinen oder Drohnenüberwachung landwirtschaftlicher Abläufe) sollte EU-einheitlich der Widerspruch zwischen zentraler Datenerfassung und Datenauswertung sowie Sensibilisierung gegenüber Datenmissbrauch geregelt werden. Erforderlich ist eine Verbesserung der Datenhoheit für landwirtschaftliche Betriebe, z.B. durch Förderung offener Datenplattformen. Die notwendige Kostenminimierung bei digitaler Agrotechnik durch überbetriebliche Bewirtschaftungsformen (Kooperativen, Genossenschaften, MTS etc.) muss möglich sein und in der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU verankert werden. EU-Regionalfördermittel können von den Bundesländern für regionale Kooperationen wie Sharing-Modelle für Geräte oder Wissen, sowie Vernetzung und Logistik eingesetzt werden.