Wahlprüfstein Europawahl 2024

Hochschulrektorenkonferenz

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In der laufenden Legislaturperiode gab es von Seiten der EU-Kommission und der Mitgliedstaaten Fortschritte bei der Integration von Bildung und Forschung. Wie werden Sie sich dafür einsetzen, dass auch das Europaparlament die Synergien der beiden Politikbereiche stärker in den Blick nimmt?
Die Linke fordert 48 Mrd. € für Erasmus+ (Verdreifachung gegenüber 2014-2020, wie vom Kulturausschuss schon 2020 gefordert) für den nächsten Mehrjährigen Finanzrahmen ab 2027. Im Bericht des EP zur Implementierung des Bildungsprogramms Erasmus+ war kritisch vermerkt, dass unzureichende Finanzhilfen zur Deckung der Kosten der Lernmobilität und Zahlungsverzögerungen zu den Faktoren gehören, die am meisten von der Teilnahme an Mobilitätsprojekten abschrecken und wurde bedauert, dass viele junge Menschen mit geringeren Chancen durch finanzielle oder sonstige Hindernisse von längeren Auslandsaufenthalten abgehalten werden. Deshalb begrüßen wir die erst kürzlich erweiterten Mobilitätsprogramme von Erasmus+ "Europe on the move" & den Talent-Pool. Von der inklusiven und sozialen Orientierung in der Bildung profitiert auch das eher Exzellenz orientierte Forschungsprogramm Horizon Europe. Synergetisch sind die Programme durch den Forschungsschwerpunkt Kultur, Kreativität & inklusive Gesellschaft. Die Linke begrüßt mehr Grundlagenforschung in Gesellschafts- & Sozial- & Kulturwissenschaften & eine entsprechende ausbaufähige Forschungsorientierung für mehr demokratischen Dialog.

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In innovativen Volkswirtschaften stehen Hochschulen im Zentrum des Wissensvierecks und setzen neben hervorragender Bildung auch zentrale Impulse für exzellente Forschung, Innovation, Kultur. Wie werden Sie sich dafür einsetzen, dass dies künftig im Diskurs der EU-Institutionen stärker anerkannt wird?
Beispielhaft für diesen Grundgedanken haben wir die Initiative Neues Europäisches Bauhaus (NEB) erlebt, die an der Schnittstelle von energetischen und baulichen Infrastruktur für ökologisch nachhaltigen Lebensweisen stand. Der Fokus auf die bauliche Infrastruktur war von Beginn an mit Forschung, Kommunikation, sowie der Restaurativen, Reparatur und Wiederbelebung vorhandener gebauter Umwelt und Landschaft verbunden. Unsere Abgeordnete Martina Michels von der LINKEN hat als Berichterstatterin einer Stellungnahme im REGI und als Schattenberichterstatterin im CULT besonders aktiv zu dieser Initiative und deren programmatischer Transparenz, die nicht im Auftakt ersichtlich war, gearbeitet. Wir haben uns Insbesondere für den Aspekt der öffentlicher Räume des Arbeitens, der Dienstleistung, der Kultur, der Verbindung von Stadt und Land eingesetzt, um Inklusivität und Lebensgewinn für alle zu sichern. Dabei haben wir auch mehrfach auf die Erfahrungen aus dem Rückbau in schrumpfenden Regionen verwiesen. Das Crossover des NEB, dass sich auch aus mehreren Programmen speist (Horizon, Erasmus+ und Creative Europe) und den Industrie- und Kulturausschuss einmal positiv zusammenbrachte, zwingt gerade den europäischen Diskurs zur Verbindung von Forschung und Bildung, von Industrie und Kultur fortzusetzen, auch wenn viele dieser Politiken Länderkompetenz beanspruchen. Der Europäische Mehrwert gemeinsamer Projekte geht hier weit über den wertvollen Erfahrungsaustausch hinaus.

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Europas wirtschaftlicher Erfolg basiert auf Technologien und der Bildung seiner Bürgerinnen und Bürger. Wie werden Sie sich dafür einsetzen, dass auch im nächsten Finanzrahmen der EU das Europäische Forschungsrahmenprogramm und das Mobilitätsprogramm Erasmus einen Mittelzuwachs erhalten?
Der Kultur- & Bildungsausschuss im EP (CULT) hatte 2019 einen Mittelaufwuchs für Erasmus+ auf 48 Mrd. € gefordert, eine Verdreifachung ggü. 2014-2020. Immerhin wurde trotz Pandemie nicht gekürzt, sondern verdoppelt. Es war offensichtlich, dass inklusive Bildung ein Schlüssel ist, eine nachhaltige Krisenbewältigung zu meistern. Die derzeitigen Halbzeitbewertungen zeigen, dass die Mittelausschöpfung bei 100 % liegt & Erasmus+ (wie viele noch kleinere Programm) Opfer des eigenen Erfolges ist. Zu wenig Antragsteller*innen können gefördert werden. Der Einsatz für den Mittelaufwuchs für Forschung und Bildung liegt auf der Hand. Dafür setzen wir uns ein. Noch dramatischer sieht es aus, wenn es um die Technologie-Förderung geht, um eine konzertierte Innovation-, Investitions- & Industriepolitik, die das fossile Zeitalter hinter sich lässt. Die Schrittchen von der Netto-Null-Industrie-VO bis zum Programm STEP (2024), das 2023 noch mit 10 Mrd. € frischem Budget im Entwurf startete & bei 1,5 Mrd. € landete, verfehlen Ansätze einer transformationsfähigen europäischen Industriepolitik. Sie sind weder eine Antwort auf den Inflation Reduction Act (IRA) der USA, noch generieren sie europäische Souveränität. Wir fordern, die Europäische Investionsbremse zu lösen. Im Zuge der Pandemie wurde der Stabilitäts- & Wachstumspakt gelockert. Eine dauerhaft strategische Schuldenaufnahme ist sinnvoll & minimiert gesellschaftliche Folgekosten, die aus einer verschleppten Dekarbonisierung entstehen.

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Wie werden Sie sicherstellen, dass im Rahmen der zukünftigen europäischen Forschungsförderung der gesellschaftliche Mehrwert auch der Grundlagenforschung in den Verhandlungen zum 10. FRP anerkannt wird und weiterhin eine angemessen starke Rolle spielen wird?
Eine technologiezentrierte Forschung, wie sie durch die Anbindung der Europäischen Forschungsrahmen & -programme, wie Horizon Europe, an den Industrie- und Energie-Ausschuss (ITRE) deutlich wird, lehnt die Linke ab. Wir wollen die natur- und gesellschaftswissenschaftliche Grundlagenforschnung stärken. Die Linke wird sich dafür einsetzen, dass Forschungsfreiheit und eine gut budgetierte Grundlagenforschung genauso essentiell anerkannt sind, wie anwendungsorientierte Forschung. Hochschulem haben ohne Drittmittel dafür kaum Mittel und kürzen bei der Grundlagenforschung. Die plenataren und sozialen Herausforderungen wie Armutsbekämpfung, Migration, Demokratie können damit nicht gelöst werden. In den Haushaltsverhandlungen 23/24 hat das Europaparlament Kürzungen von 166 Mio € bei Horizon Europe kritisiert, zumal es aus dem NextGenerationEU-Programm keine Querfinanzierungen hin zu Forschungsvorhaben nach 2024 mehr geben wird. Wir fordern in unserem Wahlprogramm, dass sich Lehre und Forschung frei und unabhängig von Markt und Profit, aber in gesellschaftlicher Verantwortung entwickeln sollen. Wir brauchen mehr Investitionen in öffentliche Güter wie die Grundlagenforschung an vielen Hochschulen und Unis.

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Das EU-FRP ist historisch ein Technologieförderprogramm. Dies prägt den EU-Innovationsbegriff. Die sozialen Konsequenzen neuer Technologien durch Verhaltensänderungen werden ausgeblendet, und auch Soziale Innovation kommt in den Ausschreibungen kaum vor. Werden Sie das ändern und wie?
Die Linke hat aus der Perspektive des Europäischen Regional- und Kulturausschusses Forschungsorientierungen & Projekte unterstützt, die Veränderungen der Lebensweisen, Herausforderungen einer gelingenden Demokratie und Teilhabe aller in Angriff nimmt. Zum Start der Inititiave Neues Europäisches Bauhaus (NEB), haben wir die Intransparenz der Finanzierung (z. T. aus dem kleinen Kulturprogramm Creative Europe) scharf kritsisiert. Gegen die Verkürzung der Idee des NEB auf ein Bauförderprogramm haben wir u. a. die Bedeutung des öffentlichen Raumes, der heute sozial, wirtschaftlich und digital besetzt und bedroht ist, betont und für dessen innovative Gestaltung Kommunen mehr Unterstützung brauchen, betont. Dieser Ansatz, der direkt nach sozialen Innovationen fragt, ist für unser politisches Wirken bindend. Deshalb haben wir auch den beschränkten Hochrisiko-Ansatz des Künstlichen Intelligenz-Gesetzes kritisiert. Inzwischen wird der politische Regelungsbedarf für Kultur, Bildung und Medien schrittweise anerkannt, was die Engführung von Technologiefolgenabschätzungen sicher verändern wird. In diese Richtung wird die Linke - gemeinsam mit Forschunsgeinrichtungen und NGOs - aktiv weiterarbeiten

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Wie sieht Ihre Vision für eine nachhaltig ausgestaltete, strukturell verankerte Zusammenarbeit von Hochschulen in Europa aus – sowohl für die angestrebten 60 Allianzen im Rahmen des Programms European University Initiative als auch für nicht am Programm teilnehmende Hochschulen?
Die Ziele der 60 Allianzen: "Verbesserung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit..." und "Förderung europäischer Werte & Identität" hätten wir gern als Förderung einer "internationalen Kooperationsfähigkeit" verstanden. Europa als "Kontinent der Übersetzungen" hat Vorteile in der internationalen, auch universitären, Zusammenarbeit einzubringen, jenseits von natur- und gesellschaftswissenschaftlicher Exzellenz, die ihre Ursprünge in der Geschichte der Universitäten als humanistische Bildungsinstitution hat. Studien- (& Berufs)abschlüsse sollten endlich europaweit anerkannt werden. Unmittelbare Zusammenarbeit in Lehre & Forschung, wie sie mit den Allianzen gefördert werden, sind Grundvoraussetzung. Doch Europäische Hochschulen brauchen Europäische Abschlüsse, die endlich am 11.3.24 durch die neue Bildungskommissarin Iwanowa angekündigt wurden. Der Europäische Studienabschluss würde die Zusammenarbeit für jeden Studierenden attraktiv machen. Die Linke befürwortet das wäre neben mehr Mobilität und dem Talent-Pool. Erforderlich ist aber auch ein Qualitätssicherungsystem, das eine inklusive Hochschule, die die sozialökologische Transformation zum Gradmesser macht, evaluiert.

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Deutschland hat mit der Exzelleninitiative hervorragende Erfahrungen gemacht. Die HRK setzt sich dafür ein, die Idee auf Europa zu übertragen und zukünftig zusätzlich auch europäische Exzellenzcluster auszuschreiben. Finden Sie diese Idee unterstützenswert, und wie würden Sie diese voranbringen?
Die Programmlinie der Exzellenzcluster der DfG ist auf die internationale Zusammenarbeit bei der Entwicklung der Forschungsinfrastruktur bis zur Forschung selbst ausgerichtet. Die mit dem "Widening"- Programm von Horizon Europe geförderte Angleichung der Ausstattung der Forschungsleistungsfähigkeit von Hochschulen ist für eine Europäische Ausweitung der deutschen Exzellenzintitiative eine Voraussetzung, um inklusive Forschungsstrukturen für kleinere Länder, vor allem in Ost- & Südeuropa zu ermöglichen. Die Idee der Europäischer Excellenzcluster ist unter der Bedingungen der Schaffung dieser inklusiven Voraussetzungen unterstützenswert. Der Programmbereich von Horizont Europe zur "Reformierung und Stärkung des europäischen Forschungs- und Innovationssystems" muss überdies konsequent in die Herausforderungen der sozial-ökologische Transformation eingebunden werden, damit nicht unter der Hand eine Reduktion auf naturwissenschaftliche und technologische Innovationen bei der Exzellenzförderung vonstatten geht. Die Prioritäten des ERA - Binnenmarkt, Ökologie und Digitalisierung, Zugang zu Exzellenzforschung und Investitionen in Forschungsreformen muss dringend um eine 5. Priorität - die soziale und demokratische Dimension der Transformationsprozesse - ergänzt werden.

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Die deutschen Hochschulen begrüßen die Initiative des Europaparlaments, Wissenschaftsfreiheit legislativ zu verankern. Allerdings sollte es keine gesetzlich durchdeklinierte Definition geben, sondern ein grundsätzlich im Einzelfall von Gerichten zu bewertendes Grundrecht. Wie stehen Sie dazu?
Mit der EU-Grundrechtecharta & der Bonner Erklärung ist Wissenschaftsfreiheit hinreichend und einklagbar ausformuliert. Die mit dem Kommissions-Vorschlag einer Transparenz-RL vorgeschlagene nationale Registrierung insbesondere bei der Beeinflussung politischer Strategiebildung in der EU ist allerdings gegenüber den Forschungseinrichtungen nicht diskriminierungsfrei. In der Entschließung des Europaparlaments zur Wissenschaftsfreiheit von Januar 2024 wurde dagegen ein Rechtsakt zur Sicherung der Wissenschaftsfreiheit gefordert, vergleichbar dem Medienfreiheitsgesetz, um Fehlentwicklung wie in Ungarn beeinflussen zu können. Aus Sicht der Linken kann jedoch in einem solchen legislativen Vorschlag nicht um eine Konkretisierung der Definition von Wissenschaftsfreiheit gehen, die - s. o. weiträumig definiert ist - , sondern um die Maßnahmen, die Wissenschaftsfreiheit zu sichern, u. a. die Behebung der öffentlichen Unterfinanzierung, Maßnahmen gg. die prekäre Lage der Wissenschaftler*innen bis zur Zugänglichkeit öffentlich geförderter Forschung.