Wahlprüfstein Europawahl 2024

Bundesverband der Dienstleistungswirtschaft e.V. - BDWi

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Es zeichnet sich ab, dass viele der Maßnahmen des European Green Deals die europäischen Unternehmen überfordern. Ein enges regulatorisches Korsett zu schnüren, ist der falsche Weg, um Klimaneutralität zu erreichen. Besteht beim European Green Deal Reformbedarf? Was muss verändert werden?
Die Linke ist überzeugt, dass viele Unternehmen von den drastischen Folgen einer Klimakatastrophe überfordert wären. Auch für die Menschen, die diese Unternehmen führen, ihre Beschäftigten und all ihre Familienangehörigen ist es wichtig, dass wir auf der politischen Handlungsebene nun alle Stellwerke darauf ausrichten, die Auswirkungen der Katastrophe zu verringern. Es braucht starke staatliche Investitionen, um Unternehmen und die Bevölkerung in der außergewöhnlichen Kraftanstrengung zu unterstützen, vor der unsere Gesellschaft steht. Es ist Zeit, dass auch Wirtschaftsverbände sich von neoliberalen Mythen verabschieden und öffentliche Investitionen für eine soziale und ökologisch gerechte Wirtschaft begrüßen. Der Green Deal der EU springt dabei noch zu kurz, ist sozial unausgewogen und mit zu viel Bürokratie verbunden. Wir brauchen Unternehmen, die den Planeten für unsere Kinder erhalten, Demokratie und Mitbestimmung im Umbau stärken, und die den Alltag für alle besser machen.
Themen: Klimaschutz

2

Die EU-Kommission greift in die Sozialpolitik der Mitgliedsstaaten ein. Ein Beispiel dafür ist die Mindestlohnrichtlinie. Ist eine EU-weit einheitliche Sozialpolitik erforderlich oder sollte die Zuständigkeit für die Sozialpolitik ausschließlich bei den Mitgliedsstaaten liegen?
DIE LINKE begrüßt die Mindestlohnrichtlinie ausdrücklich. Aus unserer Sicht hätten allerdings Mindestlohnkriterien verbindlich festgeschrieben werden müssen, wie das Überschreiten der Armutsgrenze (mindestens 60% Median) nicht nur als Richtgröße. Die Kommission hat damit ihre Zielsetzung der sozialen Aufwärtskonvergenz verfolgt und den Kampf gegen Armut und sozialer Ausgrenzung. DIE LINKE vertritt einen Ansatz der Komplementarität, da die Systeme der Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich sind. D.h. grundsätzlich können und sollen die Mitgliedsstaaten agieren. Wenn das übergeordnete Ziel jedoch nicht erreicht werden kann, hat die Kommission die Pflicht, Mindestbedingungen zu setzen, um wie hier die Armut zu beseitigen. DIE LINKE könnte gut damit leben, wenn diese Maßnahmen nicht notwendig wären. Wenn sich z.B. mehr Arbeitgeber in Verbänden organisieren und Tarifverträge abschließen würden, da gute Tarifverträge das beste Mittel gegen Armutslöhne sind. Die Stärkung der Tarifbindung ist der zweite Teil der Mindestlohnrichtlinie, die wir ebenfalls sehr begrüßen.
Themen: Mindestlohn

3

Trotz aller Initiativen zum Abbau von Bürokratie wächst diese ungebremst. Ein sehr großer Teil dieser Bürokratie hat seinen Ursprung in europäischer Regulierung. Ist ein spürbarer Bürokratieabbau in Europa möglich? Und was muss dafür getan werden?
Bürokratieabbau ist möglich. Die Linke setzt sich auch im Europaparlament dafür ein, dass EU-Fördermittel leichter zugänglich werden. Beispielsweise haben wir und dafür eingesetzt, dass sogenannte Vereinfachte Kostenoption in die Dachverordnung über die EU-Strukturfonds für die Förderperiode 2021-2027 aufgenommen werden. Das bedeutet, dass bei vielen Arten von EU-geförderten Projekten zunehmend mit Förderpauschalen pro Teilnehmer*in statt einzelnen Rechnungsbelegen gearbeitet werden kann. Die Linke Delegation im Europaparlament hat außerdem vor acht Jahren die Online-Plattform www.eu-foerdermittel.de ins Leben gerufen, die insbesondere KMU, NRO und Kommunen Hilfe bei der Selbsthilfe bei der Beantragung von EU-Geldern bietet. Schließlich kann auch darauf geachtet werden, dass bundesdeutsche oder Ländergesetzgebung nicht zusätzliche unnötige Bürokratiehürden verursacht. Zugleich sagen wir aber auch: Die Einhaltung von ökologischen, sozialen und Beteiligungs-Kriterien für die Vergabe von EU-Fördermitteln gibt sowie demokratisch ausgehandelter gesetzlicher Grundregeln für Unternehmen, die in der EU aktiv sein wollen - keine Kinderarbeit, keine Ausbeutung, keine Menschenrechtsverletzungen oder Verursachung von Umweltschäden - muss auch effektiv kontrolliert werden.

4

Versorgungssicherheit muss das wichtigste energiepolitische Ziel Europas sein. Damit ist es aber nicht getan. Genauso wichtig ist es, dass Energie bezahlbar bleibt. Wie können Versorgungssicherheit und bezahlbare Energiepreise für Unternehmen und Verbraucher in Europa gewährleistet werden?
Die Klima- und Energiepolitik der EU-Kommission setzt vor allem auf den Markt. Doch der Markt regelt es nicht: Die Strompreise explodieren, während sich Konzerne bereichern. Die Energiearmut in der EU steigt. Mit Energieversorgung von Stadtwerken, Genossenschaften und Bürger*innenenergie werden bezahlbare und sozial gestaffelte Preise für Verbraucher möglich. Für den durchschnittlichen Verbrauch von elektrischem Strom und Heizenergie wollen wir preisgünstige Sockeltarife schaffen. Die Strompreise müssen stärker überwacht, kontrolliert und sozial gerechter gestaltet werden. In Deutschland fordern wir einen Energie-Soli für Reiche zur Finanzierung sozial gerechter Preise. Energieerzeugung und Verteilung muss so dezentral wie möglich und so zentral wie nötig erfolgen. Der beschleunigte Ausbau von Erneuerbare Energien und Speichertechnologien möglichst mit Produktion in Europa und Beteiligung der öffentlichen Hand schaffen Autonomie und Versorgungssicherheit im Gegensatz zu LNG und Erdgas. Es darf keine neue, dauerhafte Infrastruktur für scheinbare Übergangslösungen geschaffen werden.
Themen: Klimaschutz

5

Es ist wichtig, dass die europäische Regulierung gewährleistet, dass landwirtschaftliche Unternehmen aus Europa auch weiterhin auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig sind. Sie dürfen nicht überfordert werden. Welche landwirtschaftspolitischen Reformen muss Europa dringend anpacken?
Die Konkurrenz der landwirtschaftlichen Unternehmen auf dem Weltmarkt hat viele soziale und ökologische Verwerfungen unserer Zeit erst maßgeblich hervorgerufen. Die Überforderung der Landwirtschaft liegt aus Sicht der Linken nicht an mangelnder internationaler Konkurrenzfähigkeit, sondern daran, dass die privatkapitalistische Produktion und Verteilung Klein- und Mittelbetriebe tendenziell ruiniert, während die Global Player des Agrobusiness die großen Profite einfahren. Die gesamte EU-Agrarförderung muss nach sozialen, ökologischen und gemeinwohlorientierten Kriterien ausgerichtet und für einen nachhaltigen Umbau von Landwirtschaft und Ernährung eingesetzt werden. Zielgenaue Strukturfördermaßnahmen müssen Anreize für landwirtschaftliche Betriebe zum sozial-ökologischen Umbau der Landwirtschaft schaffen. Ein EU-Bodengesetz muss die sozial gerechte Verteilung landwirtschaftlicher Flächen und die Bodenfruchtbarkeit sicherstellen. Staatliche Pachtverträge müssen nach sozialen und ökologischen Kriterien vergeben werden. Eine Pachtpreis- und Kaufpreisbremse muss den Zugang zu Land erleichtern für Akteure ohne oder mit wenig Geld, gemeinwohlorientierte Bodenträger und landwirtschaftliche Existenzgründer*innen.
Themen: Klimaschutz

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Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor werden, trotz des Verbrennerverbots ab dem Jahr 2035, weiterhin für den Wirtschafts- und Individualverkehr unverzichtbar sein. Mit welcher Regulierung sollte der Markthochlauf klimafreundlicher und klimaneutraler, flüssiger Kraftstoffe in Europa angereizt werden?
Die Linke ist ein verlässlicher Partner für auf europäischer Ebene getroffene Vereinbarungen, im Gegensatz zu manch anderer Partei. Am Verbrenner-Aus zu rütteln, ergibt keinen Sinn. Selbst die Automobilindustrie setzt auf E-Autos als Antriebstechnologie der Zukunft. Diese sind aber nur dann klimaschonender, wenn sie leicht sind und der Strom aus erneuerbaren Energiequellen kommt. Zum Erreichen der Klimaziele muss der Autoverkehr bis 2035 drastisch reduziert werden. Unser Ziel lautet: mehr Mobilität mit weniger Verkehr. Dafür müssen bezahlbare, klimafreundliche Alternativen geschaffen und die öffentlichen Verkehrsmittel ausgebaut werden. Das hat für uns Priorität. Die Linke streitet dafür, dass alle ihre Fahrt- und Reiseziele erreichen können, die Orte und Dörfer besser vernetzt sind und die Städte lebenswerter werden. Wir wollen den Just Transition Fund auf vom Wandel stark betroffene Regionen ausweiten, wie auch jene, in denen der notwendige Umbau der Autoindustrie geschehen wird. Überall dort wo Verkehr nicht reduziert oder elektrifiziert werden kann, werden E-Fuels benötigt. E-Fuels sind energieintensiv und teuer, deshalb sollten sie auch nur in diesen Bereichen angewendet werden, also zum Beispiel in der Containerschiffahrt oder im Flugverkehr.
Themen: Klimaschutz

7

Die Regulierung der Vermittlung von Versicherungen und Finanzdienstleistungsprodukten ist Stück für Stück verschärft worden. Dabei ist eine zusätzliche, private Altersvorsorge für die Bürger unverzichtbar. Ist eine zusätzliche Regulierung der im Rahmen der einschlägigen Richtlinien erforderlich?
Die europäischen Pensionskassen sind durch den Ausbau kapitalgedeckter Rentensysteme zu renditegetriebenen Investoren geworden, die nicht nur umweltschädlich, sondern auch riskant agieren. Wir wollen hingegen gesetzliche und umlagebasierte Rentenkassen europaweit stärken. Mit den Renten darf nicht an den Finanzmärkten spekuliert werden, und Rentenleistungen dürfen nicht von den Aktienkursen abhängig sein. Die gesetzliche Rente muss europaweit den im Erwerbsleben erreichten Lebensstandard sichern. Wir fordern zudem, dass niedrige Renten aufgestockt werden, bis sie sicher vor Armut schützen. Eine europaweite „Solidarische Mindestrente“ muss oberhalb der Armutsrisikogrenze des jeweiligen Landes liegen. Sie soll einkommens- und vermögensgeprüft sein. Heute sind 20 Prozent der Menschen, die in der EU eine Rente beziehen, von Armut bedroht. Die Preissteigerungen für Wohnen, Wärme und Essen haben viele in Not gebracht. Wir streiten für einen wirksamen Ausgleich der Inflation für die Rente!
Themen: Klimaschutz

8

Der Fachkräftemangel ist branchenübergreifend und nicht auf Deutschland beschränkt. Gleichzeitig üben Migrationsbewegungen großen Druck auf die politische Stabilität vieler EU-Mitgliedsländer aus. Wie kann es gelingen, Fachkräfteeinwanderung und Migration nach Europa in Einklang zu bringen?
Als Linke setzen wir auf eine solidarische Asyl- und Migrationspolitik, wir kämpfen gegen die europäische Politik der Abschottung und sehen Einwanderung als Chance. Um Migration und Fachkräfteeinwanderung in Einklang zu bringen, muss der Zugang zum Arbeitsmarkt für Geflüchtete und Migranten vereinfacht werden, durch bessere Anerkennung von Abschlüssen, Qualifikationen und bisherigen Berufserfahrungen, sowie Zugang zu Sprachkursen. Wir wollen einen EU-Fonds für Willkommenskulturen einrichten, die Kommunen hilft, ihre öffentliche Daseinsvorsorge auszubauen, um die Solidarität vor Ort zu stärken. Für Branchen mit Fachkräftemangel könnten zusätzliche Ausbildungsgänge eingerichtet werden, die auf Eingewanderte und Geflüchtete als Zielgruppe zugeschnitten sind. Ein weiteres zentrales Mittel gegen Fachkräftemangel in vielen Branchen ist grundsätzlich die Verbesserung der Bezahlung und der Arbeitsbedingungen, mit dem Ziel, gute Arbeitsbedingungen für alle zu schaffen und prekäre Beschäftigungsverhältnisse zu beseitigen.