Wahlprüfstein Europawahl 2024
Landesapothekerverband Niedersachsen e.V.
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Wie steht Ihre Partei zu dem in Artikel 168 AEUV zuerkannten Wertungsspielraum der Mitgliedsstaaten hinsichtlich ihrer Gesundheitspolitik und wie wollen Sie in Anbetracht gefährlicher europafeindlicher Tendenzen die großen Zukunftsaufgaben anpacken?
Markt und Profitstreben sind schlechte Ordnungsprinzipien in der Gesundheitspolitik. Rechtsakte der EU in der Gesundheitspolitik sollten nicht auf den Prinzipien des freien Handels und des Wettbewerbs fußen und die Gesundheitspolitik der Mitgliedstaaten darf durch diese Prinzipien nicht eingeschränkt werden. Da Gesundheit und Pflege Teil des Sozialstaates sind, wollen wir sie dem Binnenmarkt und dem EU-Wettbewerbsrecht entziehen. Europafeindlich allerdings wäre ein Verständnis des Art. 168, dass sich die EU aus allem heraushalten sollte. Denn dieser Artikel sieht vielfältige Kooperation zwischen den Mitgliedsstaaten vor, die in vielen Bereichen (z.B. Pandemie) auch sinnvoll sein kann. Die Linke will eine Versorgung, die sich nach dem Bedarf der Menschen richtet, nicht nach der Profitabilität ihrer Behandlung. Wir wollen Krankenhaus- und Pflegekonzerne in die öffentliche Hand überführen. Medizintechnik- und Pharmaindustrie müssen am Gemeinwohl ausgerichtet werden.
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Inwieweit wird Ihre Partei sich auf EU-Ebene einsetzen, bei Entwicklungs- und Umsetzungsmaßnahmen zur Digitalisierung des Gesundheitssystems die Arzneimittelversorgung durch Apotheken zu stärken, den Umsetzungsaufwand zu finanzieren und die Daten der Patienten sowie die der Apotheken zu schützen?
Digitale Anwendungen haben ein großes Potenzial, die Gesundheitsversorgung der Patient*innen besser und einfacher zu machen, das gilt natürlich auch für Daten zur Arzneimittelversorgung. Soweit den Apotheken daraus Mehraufwand entsteht, muss dieser nach Auffassung der Linken selbstverständlich gegenfinanziert werden. Hierfür sind jedoch die nationalen Gesundheitssysteme zuständig; auf Bundesebene spricht sich Die Linke auch dafür aus. Die Linke orientiert sich bei ihren Anforderungen an die Überarbeitung der EU-Verordnung an den Datenschutz- und Patient*innen-Organisationen: Die ärztliche Schweigepflicht und individuelle Persönlichkeitsrechte wie der Schutz der Privatsphäre und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung müssen geschützt werden. Der Europäische Gesundheitsdatenraum darf ausschließlich zur Weiterentwicklung und Verbesserung der gesundheitlichen Versorgung der Bürger*innen in ganz Europa dienen und nicht zu Profitzwecken gehandelt werden.
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Was tut Ihre Partei auf EU-Ebene, um negative Auswirkungen auf die „handwerkliche“ Herstellung von Rezepturen und Defekturen durch Apotheken zu vermeiden?
Regelungen zu Rezepturen und Defekturen unterliegen nach unserem Verständnis der nationalen Gesetzgebung. Sie sollten weitestgehend aus der Regulation durch die EU herausgehalten werden.
Themen:
Gesundheit
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Welche Konzepte hat Ihre Partei, Liefer- und Versorgungsengpässe innerhalb Europas zu verhindern?
Eine Ursache für Arzneimittelengpässe ist, dass die Pharmaindustrie die Produktion von Arzneimitteln und Zusatzstoffen aus wirtschaftlichen Gründen verlagert. Wenn die Liefer- und Produktionsketten brechen, entstehen Lücken in der Versorgung. Wir wollen regionale Wirtschaftskreisläufe stärken. Das macht die Arzneimittelversorgung in der EU sicherer und die EU unabhängiger. In der EU-Arzneimittelstrategie muss sichere Versorgung im Vordergrund stehen. Die Linke setzt sich bei den Verhandlungen zum EU-Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel dafür ein, dass die Sicherstellung der Arzneimittelversorgung als wichtige Gemeinwohlaufgabe der Mitgliedstaaten definiert wird. Das muss im EU-Recht Vorrang gegenüber dem freien Binnenmarkt haben. Anreize zur Verlagerung von Produktionskapazitäten müssen durch Auflagen für Versorgungssicherheit flankiert werden (Diversifizierung von Herstellungs- und Zulieferunternehmen, robuste Lieferketten etc.). Arzneimittel werden oft aus Niedrigpreisländern in Hochpreisländer importiert, was in den Exportländern die Versorgungssicherheit gefährdet. Mitgliedstaaten der EU müssen das unterbinden können.
Themen:
Gesundheit
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Was wird Ihre Partei auf EU-Ebene tun, um sich für die Fortführung der unabhängigen Arzneimittelversorgung und Beratung durch das freiberufliche Netzwerk der Apothekerinnen und Apotheker einzusetzen, um somit weiterhin die
bestmöglichste Gesundheitsversorgung in Europa zu garantieren?
Die Linke hat sich immer für die Präsenz-Apotheke und für die Stärkung des Apothekerberufs als Heilberuf starkgemacht. Mit dem drohenden Preiskampf, mit dem Fremd- und Mehrbesitz droht eine Ökonomisierung. Wir wollen dem eine patientenorientierte und auf Qualität setzende Versorgung entgegenstellen. Rosinenpickerei darf es nicht geben, wenn es um die Erfüllung des gesetzlichen Versorgungsauftrags geht. Wir halten das Verbot des Versandhandels mit rezeptpflichtigen Arzneimitteln für die einzig richtige Reaktion auf das EuGH-Urteil von 2016. Dabei geht es um den Schutz der Vor-Ort-Versorgung in Deutschland und um Versorgungsqualität und Arzneimittelsicherheit.
Themen:
Gesundheit
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In wie fern setzt sich Ihre Partei auf europäischer Ebene dafür ein, Arzneimittel als Güter der besonderen Art zu schützen sowie Liberalisierungstendenzen, die das kohärente System aus Preisbindung, Apothekenpflicht sowie Fremd- und Mehrbesitzverbot gefährden, zu stoppen?
Patientenschutz, Arzneimitteltherapiesicherheit und Versorgungssicherheit sind für Die Linke zentrale Anliegen. Wir kritisieren, dass diese Sichtweise in den meisten Initiativen der EU-Kommission leider keine dominante Rolle spielt. Vielmehr stellt der freie Warenverkehr die Maxime ihrer Politik dar, der alle anderen Aspekte viel zu oft untergeordnet werden. Der falsche Einsatz von Arzneimitteln ist ein massiv unterschätztes Problem. Er verursacht nicht nur viel vermeidbares Leid, sondern auch horrende Kosten in den Sozialsystemen. Eine gute Arzneimittelversorgung muss sich daran messen lassen, ob Versorgungsqualität und Patientenadhärenz gefördert und zum Beispiel unnötige Folgebehandlungen und Krankenhausbehandlungen aufgrund von Fehlmedikation vermieden werden. Die Kompetenz der Apothekerschaft und damit auch die Apothekenpflicht für OTC-Arzneimittel spielen dabei eine wichtige Rolle.
Themen:
Gesundheit
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Was wird Ihre Partei unternehmen, damit auch bei Arzneimittelversendern aus dem europäischen Ausland die Qualität zum Wohle der Patientinnen und Patienten geprüft werden kann?
Die Linke hat den Versandhandel mit rezeptpflichtigen (RX-) Arzneimittel immer abgelehnt. Wir wollen wohnartnahe Präsenz-Apotheken schützen. Die Versorgungsqualität durch den Versandhandel kann nur schlechter sein. Wir kämpfen weiter für das Verbot des RX-Versandhandels. Sollte die Regierung weiterhin den Versandhandel zulassen, müssen zumindest „gleichlange Spieße“ gewährleistet werden, zum Beispiel gleiche Rechte und Pflichten in der Aufsicht. Entsprechende Regelungen sollten in der Prüfung, aus welchen Ländern nach Deutschland versendet werden darf, berücksichtigt werden. Wenn ein direkter Zugriff schwierig ist, müssen die Versender zumindest bei der Belieferung von rezeptpflichtigen Arzneimitteln auf Einhaltung der in Deutschland festgelegten Regeln verpflichtet werden.
Themen:
Gesundheit