Wahlprüfstein Europawahl 2024

Open Source Business Alliance – Bundesverband für digitale Souveränität e.V.

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Was verstehen Sie unter digitaler Souveränität und welche konkreten Maßnahmen haben Sie vor, um die digitale Souveränität von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft in Europa durch den Einsatz von Open Source Software zu stärken?
Digitale Souveränität verstehen wir als digitale Unabhängigkeit. Diese schließt nicht nur hoheitliche Souveränität, sondern auch individuelle und unternehmerische Souveränität mit ein. Open-Source-Software (OSS) wirkt sich positiv auf alle diese Formen der Souveränität aus. In hoheitlicher Hinsicht kann OSS die nötige Transparenz für IT-Sicherheit schaffen. In unternehmerischer Hinsicht vermeidet OSS Lock-In-Effekte, und auf der individuellen Ebene kann OSS den Informationszugang und Möglichkeit der Nachnutzung und Anpassung von Software - und damit die Selbstbestimmtheit - enorm fördern. OSS ist jedoch ein unzureichend definierter Begriff. Wir verstehen darunter Free/Libre Open Source Software, Merkmale dafür sind unter anderem demonstrierte Referenzimplementierung und aktive Communityarbeit. Konkret diese Form von OSS wollen wir in neuen Förderprogrammen verankert stärken, bei Ausschreibungen der EU-Institutionen für Entwicklungsaufträge und auch für Dienstleistungen verbindlich machen (public money, public code) und an Closed-Source-Lösungen erhöhte finanzielle und regulatorische Anforderungen stellen, die deren Risiko bezogen auf die digitale Souveränität Rechnung tragen.

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Welche Maßnahmen planen Sie (z.B. im öffentlichen Vergaberecht oder in anderen Rechts- und Verwaltungsvorschriften), um den Einsatz von Open Source Software im EU-Parlament und in der europäischen Verwaltung zu fördern? Planen Sie eine Erneuerung der europäischen Open-Source-Strategie?
Die Open-Source-Strategie der EU muss unbedingt neu und wesentlich konsequenter reaktiviert werden. Wir fordern verbindlichere Vorgaben insbesondere für das Beschaffungswesen der EU einschließlich entsprechender Vorgaben in den jeweiligen Rechts- und Verwaltungsvorschriften, sodass der Nichteinsatz von Open-Source-Software nicht zum Regelfall, sondern zum streng begründeten Ausnahmefall wird, der stets mit einer konkret geplanten Exit-Strategie verknüpft sein muss. Wenn Vorhaben wie beispielsweise die angedachte Mastodon- und Peertube-Instanzen für EU-Institutionen in der Praxis zu wenig Reichweite erzielten oder "einschlafen", muss eine Ursachenanalyse erfolgen, oft hat es mit fehlender Verbindlichkeit des roll-outs und zeitlich begrenzten Projekten anstatt langfristigen Grundlagenaufbaus zu tun. Letzterer ist außerdem auch wichtig für das strategische Ziel der IT-Sicherheit, denn diese entsteht bei Open-Source-Software nicht von allein sondern erfordert ein Umdenken dahingehend, Basiskomponenten von Open-Source-Software als Elemente der Daseinsvorsorge zu begreifen. Neben Unternehmen, die Open-Source-Software kommerziell nutzen, steht deshalb auch die öffentliche Hand in der Verantwortung, das Open-Source-Ökosystem aktiv zu pflegen.

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Wie wollen Sie die Umstrukturierung der IT-Infrastruktur der europäischen öffentlichen Verwaltung unterstützen, um die Nutzung von Open-Source-Alternativen und die Entwicklung digital souveräner Verwaltungs-Clouds zu fördern und eine Ablösung von proprietären Cloud-Angeboten voranzutreiben?
Es ist ein vollkommen inakzeptabler Zustand, dass trotz enormer Lock-In-Effekte durch Hyperscaler einerseits und des zurecht bereits wackelnden EU-US-Data-Privacy-Framework weiterhin mit großen Schritten ausgerechnet im Kernbereich hoheitlicher Daten der Weg in proprietäre Cloud-Software gegangen wird, noch dazu von US-amerikanischen Unternehmen, die selbst im Falle von Tochterunternehmen und Kooperationspartnern einer extraterritorialen Ausübung von US-Recht unterliegen können, das nicht vereinbar mit den Menschenrechten und europäischen Souveränitätsansprüchen ist. Die Erzählung, es gäbe keine Alternativen dazu, ist falsch. Der Sovereign Cloud Stack ist eine der erfolgreichen Entwicklungen im Umfeld von GAIA-X und muss vor destruktiven Lobbyaktivitäten proprietärer Hyperscaler geschützt werden, insbesondere in beratenden Gremien der EU. Stattdessen muss der roll-out und die Weiterentwicklung des Cloud Stacks mit Priorität vorangetrieben werden, dafür sollte übergangsweise auch das know-how europäischer Privatunternehmen einbezogen werden. Wir fordern ein starkes Cybersicherheitszertifizierungsschema für Clouds (EUCS), das digitale Souveränität ernst nimmt anstatt sie zu verwässern, Open-Source als Voraussetzung für unabhängige Überprüfbarkeit der Sicherheit verankert und Varianten mit Risiken geheimer Datenübermittlung in das EU-Ausland ausschließt. Das Motto "public money, public code" muss insbesondere für Cloud-Stacks und auch Cloud-Anwendungen verbindlich gelten.

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Wie wollen Sie öffentliche Gelder aus EU-Budgets nutzen, um die Einführung und Nutzung von Open-Source-Technologien in Europa zu fördern? Welchen Anteil des EU-Budgets wollen Sie speziell für Open-Source-Projekte bereitstellen und wie planen sie, dies zu messen und nachzuverfolgen?
Wir brauchen auf EU-Ebene ein zum OpenTechFund vergleichbares Instrument der Förderung von Open-Source-Software, möglichst auch in dessen Umfang. Zudem muss GAIA-X vorangetrieben werden. Nicht nur dort muss allerdings mehr darauf geachtet werden, dass Entscheidungs-, aber auch Beratungsgremien nicht von Interessenvertretern außereuropäischer Konzerne mit proprietären Software-Angeboten geprägt werden, sonst wird das Geld seine Wirkung nicht erreichen. Es braucht darüber hinaus auch ein reichliches Budget, damit Open-Source-Software kontinuierlich von der EU selbst mit entwickelt und aktiv gepflegt werden kann, denn eng befristete Förderprogramme können nicht die Antwort auf die Frage der souveränen digitalen Daseinsvorsorge sein. Indem EU-Institutionen Personal, Strukturen und Kompetenz aufbauen, selbst stärker Open-Source-Software zu entwickeln und zu pflegen, kann eine solche nachhaltige Stärkung von Open-Source-Software erfolgen. Dabei muss neben Prinzipien des einschlägigen Qualitätsmanagements wie das festlegen messbarer Ziele, Risikoabschätzung und Managementbewertung das Prinzip des gläsernen Staats gelten, um Geldaufwendung, erreichte Fortschritte und Verbesserungsbedarfe zu erkennen und in den demokratischen Diskurs zu geben. Auch deshalb muss die Open-Source-Förderung mit einer Open-Data-Strategie und mehr Werkzeugen (rechtlich und technisch) für möglichst niederschwellige öffentliche Teilhabe an Prozessen der EU-Institutionen verbunden sein.

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Wie wollen Sie die europäischen KMUs im Open-Source-Software-Sektor unterstützen (z.B. bei der Vereinfachung des Zugangs zu EU-finanzierten Forschungs- und Entwicklungsprogrammen wie Horizon Europe), damit diese ihr Potential für eine innovative und wettbewerbsfähige Wirtschaft entfalten können?
Zunächst einmal profitieren KMUs von der von uns geforderten aktiv genutzten und mitgestalteten Open-Source-Welt durch die öffentliche Hand, sei es als Dienstleister für entsprechende Software oder indirekt als Nachnutzende entwickelter oder gepflegter Software. Der Grundsatz "public money, public code" muss aber konsequenterweise auch für Forschungs- und Innovationsprogramme der EU gelten, diese müssen dahingehend klareren Anforderungen unterliegen. Wichtig ist dabei zu verankern, dass Open Source nicht nur für die digitale Souveränität zentral ist, sondern auch essenziell für eine nachhaltige Wirtschaftsweise und hilfreich für Innovation. Unser Ziel ist es nicht, den proprietären Wettbewerb zu steigern. Dieser führt zu Informationsverknappung/Teilhabeverlusten, Vermögensungleichheit und Ressourcenverschwendung (Parallelarbeit, Überangebot, Marketingaufwand). Diese Effekte widersprechen auch dem Geiste freier Software, weshalb wir anstatt mehr proprietärem Wettbewerb eine Gesellschaft brauchen, in der befreit von Eigentumsverhältnissen und Vermögensungleichheit ein Wettbewerb der Ideen und gesellschaftlicher Anerkennung eingebettet in umfassende Wirtschaftsdemokratie stattfindet, mit einem breiten Wissenszugang und Partizipation für Alle. Dafür steht die Linke als moderne sozialistische Partei und fordert eine entsprechende Transformation der Gesellschaft, in der sich OpenSourceSoftware schon allein aus den ökonomischen Grundsätzen heraus als Selbstverständlichkeit ableitet.

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Wie sieht Ihre Vision für die Förderung offener Standards und der Interoperabilität innerhalb der Europäischen Union aus, um den KMUs die Integration von Open-Source-Lösungen in verschiedene technologische Software-Umgebungen und den Eintritt in einen bestimmten Markt zu erleichtern?
Interoperabilität und die Festlegung einzuhaltender offener Standards sind essenzielle Voraussetzungen für ein florierendes Open-Source-Ökosystem. Dazu muss GAIA-X von nichteuropäischen Lobbyinteressen befreit und mit voller Intensität fortgesetzt werden. Standards beschließende Gremien erfordern hohe Transparenz und offene Beteiligungsmöglichkeiten für alle europäischen Stakeholder, gleichzeitig müssen Entscheidungsprozesse aber so organisiert sein, dass es zu keinen gegenseitigen Blockaden kommt und sich problematische Verzögerungen ergeben. Idealerweise wird diesen Gremien die mit öffentlichen Ressourcen unterlegte notwendige Priorität eingeräumt, langfristige Leitbilder und messbare Meilensteine formuliert, um den durchaus nicht einfachen Prozess der Festlegung und Pflege von Standards zu bewältigen, ohne zu abhängig von einzelnen Lobbyisten zu werden. Kurzfristig gesehen müssen die Interoperabilitätsanforderungen des DigitalMarketsAct konsequent umgesetzt und Gesetzeslücken nachträglich geschlossen werden, damit sich Gatekeeper nicht wie gegenwärtig durch Schlupflöcher einer wirksamen Regulierung entziehen können und somit auch Zugangsbarrieren für KMUs bestehen bleiben. In unserer Vision wäre der DigitalMarketsAct gar nicht mehr nötig, weil durch ein im Gemeinwohl bewirtschaftetes Open-Source-Ökosystem jene Probleme, die dieser Act versucht zu bekämpfen, schon aus Prinzip nicht mehr auftreten können.

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Wie wollen Sie Open Source Software einsetzen, um bei Europäerinnen und Europäern ein Verständnis für die Bedeutung offener Technologien, Innovation und digitaler Souveränität zu fördern und den bestehenden Fachkräftemangel in ganz Europa zu adressieren?
Open-Source-Software entfaltet das Potential verfügbarer Fachkräfte durch das Prinzip der Offenheit und der Kollaboration. Nicht rein zufällig gelang es beispielsweise OpenAI, durch diese Offenheit die besten Köpfe zusammenzubringen und großes zu leisten. Den auch in diesem Beispiel darauffolgenden Tendenzen der Proprietarisierung muss durch ein anderes Wirtschsafts- und Eigentumsmodell der Gesellschaft entgegengewirkt werden, für das wir als moderne sozialistische Partei stehen. Die Förderung von Entwicklungsplattformen wie code.europa.eu ist daher der richtige Weg. Darüber hinaus braucht es eine Bildungsoffensive, die einerseits die Verfügbarkeit von IT-Fachkräften verbessert, andererseits aber auch ein Verständnis des Open-Source-Ansatzes für alle Menschen in Europa stärkt, was nicht nur Interesse und Wertschätzung wecken kann, sondern auch die Konsumentscheidung der Menschen beeinflusst. Entscheidend dabei ist, dass öffentliche Einrichtungen einschließlich Schulen, Krankenhäuser usw. Open-Source-Infrastruktur und Anwendungen selbst aufbauen und als Interface betreiben, sodass Open-Source-Ökosysteme den Menschen als Grundelemente der Daseinsvorsorge erkennbar werden und die Anknüpfung entsteht, Open-Source individuell auch für andere Zwecke zu nutzen. Deshalb ist die Frage nicht trivial, ob Informationsangebote der öffentlichen Hand primär beispielsweise im Fediverse oder aber auf der Plattform eines Privatkonzerns bereitgestellt werden.

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Wie wollen Sie europäische Open-Source-Communities frühzeitig und effektiv in europäische Gesetzgebungs- und Regulierungsinitiativen einbinden? Inwiefern wollen Sie die Einrichtung eines ständigen Konsultationsmechanismus vorantreiben, wie z. B. eine High Level Group für Open Source?
Die ausgelaufene Open-Source-Strategie der EU muss reaktiviert und um einen solchen Konsultationsprozess ergänzt werden und die Tätigkeit des darin vorgesehenen Programmbüros flankieren und kontrollieren. Auch die Einrichtung einer High-Level-Group für Open-Source ist eine sinnvolle Forderung für diese Strategie, um eine frühzeitige Einbindung in Gesetzgebungsprozesse sicherzustellen. Gleichzeitig muss in bestehenden Beratungsgremien und Agenturen wie der Enisa mehr Restriktion dahingehend umgesetzt werden, dass unproportionale Kapazitäten für Lobbyismus durch große Konzerne - noch dazu wenn sie keine europäischen Interessen vertreten - zu keiner unverhältnismäßigen Einflussnahme führen kann. Dafür braucht es eine besser regulierte Zusammensetzung dieser Gremien und eine Arbeitsweise, die insbesondere Stakeholdern aus dem Open-Source-Bereich mit begrenzten Ressourcen echte Mitwirkung ermöglicht, sowie mehr Transparenz und Berichtspflichten, um öffentlichen und medialen Druck bei strategischen Entgleisungen aufbauen zu können. Darüber hinaus wollen wir die Macht der EU-Kommission begrenzen, um regionale Interessen besser zu Wort kommen zu lassen. Wir wollen, dass das Parlament uneingeschränktes Initiativrecht erhält, der europäische Rat in zweite Kammer umgewandelt wird und Ausschuss der Regionen gestärkt wird. Zudem muss illegitimem Lobbyismus schärfer entgegentreten werden. Als Linke sind wir die einzige größere Partei, die Unternehmensspenden grundsätzlich nicht annimmt.