Wahlprüfstein Europawahl 2024

KOK e.V. - Bundesweiter Koordinierungskreis gegen Menschenhandel

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Mit welchen politischen Maßnahmen wird sich Ihre Partei für eine Stärkung zivilgesellschaftlicher Organisationen und Initiativen in Europa und gegen die in vielen Ländern zunehmende Einschränkung zivilgesellschaftlicher Handlungsspielräume einsetzen?
Wenn Mitgliedstaaten die EU-Grundwerte nicht achten, muss ein Stopp der Zahlungen von Fördermitteln zukünftig zielgenauer geregelt werden – beispielsweise dürfen Projekte im sozialen Bereich, Integrations- oder Bildungsprojekte nicht gefährdet werden. Bei gravierenden Verletzungen dieser Grundwerte sollte dem betreffenden Staat das Stimmrecht im Rat entzogen werden. Die Linke hat die Beteiligung von Bürger*innen, NGOs, Verbände & Gewerkschaften im Rahmen der Konferenz zur Zukunft Europas (CoFE) unterstützt & sich dafür eingesetzt, dass sich die Konferenzergebnisse (2022) auch in der parlamentarischen Gesetzgebung widerspiegeln. Die EU braucht mehr Instrumente, als Konsultationen, Hearing, Stakeholder-Dialoge & eine weiterentwickelte Europäische Bürgerinitiative, um Menschen – und Kommunen – dauerhaft & verbindlicher an EU-Entscheidungen zu beteiligen. Viele wollen eine verbindliche Umsetzung der Säule sozialer Rechte neben den Garantien der Grundrechtecharta. Wir setzen uns dafür ein, dass das Vetorecht im EU-Rat überwunden wird und das Parlament selbst ein umfassendes Initiativrecht erhält.

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Mit welchen Maßnahmen wollen sie die Arbeits- und Lebensbedingungen aller Menschen in der EU verbessern und in Richtung einer Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse weiterentwickeln?
Die Ungleichheit zwischen den Regionen hat zugenommen. Die „soziale Säule“ der EU sollte ein Gegengewicht zur neoliberalen Politik und ihren Folgen schaffen. Aber mehr als 100 Millionen Menschen arbeiten im Niedriglohnsektor, in prekärer Beschäftigung und sind trotz und mit Arbeit arm. Wir fordern einen automatischen Mechanismus zur sozialen Sicherung. Die sozialen Standards in den EU-Ländern dürfen nur nach oben angeglichen, aber nicht abgesenkt werden (Aufwärtskonvergenz). Wir haben die Mindestlohnrichtlinie mit entwickelt und durchgesetzt und streiten für ihre Umsetzung – mit Blick auf die Höhe des Mindestlohns und die Tarifbindung in den EU-Staaten. Gemeinsam mit Sozialverbänden und NGOs fordern wir eine verbindliche Richtlinie für ein Europäisches Mindesteinkommen, damit ein Leben in Würde für alle Menschen in Europa möglich ist. Wir wollen eine Rahmenrichtlinie für eine europäische Erwerbslosenversicherung und Mindeststandards für die Gesundheitsversorgung.

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Welche Prioritäten setzen Sie in der europäischen Migrations- und Asylpolitik? Welche Pläne haben Sie, den Rückbau des individuellen Rechts auf Asyl aufzuhalten, Menschenrechte auch für Migrant*innen und Geflüchtete zu gewährleisten und Menschenrechtsverletzungen an den EU-Außengrenzen zu beenden?
Die Linke steht für eine solidarische und humane Migrations- und Asylpolitik, die die Genfer Flüchtlingskonvention, die Europäische Menschenrechtskonvention und insgesamt die Menschenrechte und die Humanität zum Maßstab ihres Handelns nimmt. Gegen die ganz große Koalition der Abschottung, die mehr Zäune und Mauern als Lösungen verkaufen will und Zehntausende Tote in Kauf nimmt, zielen wir auf eine Gesellschaft ohne Abschottung. Die Linke hat zusammen mit NGOs gegen das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) gekämpft. Das neue GEAS verschlimmert die Situation an den Außengrenzen, inhaftiert Schutzsuchende und gefährdet Menschenleben. In Schnellverfahren und unter Haftbedingungen ist keine faire Prüfung möglich. Mit diesem Beschluss werden schutzbedürftige Menschen weiter entrechtet und die Mauern der Festung Europa noch höher gezogen. Der Kampf gegen die Inhaftierung von Schutzsuchenden an den Außengrenzen und gegen Konzepte der Auslagerung von Schutz (sichere Drittstaatenregelungen) muss auf der politischen und rechtlichen Ebene fortgeführt werden. Geflüchtete in den Grenzlagern, vor allem besonders vulnerable Menschen, brauchen konkrete Unterstützung und Solidarität, Missstände und fragwürdige Ablehnungen müssen offen gelegt werden.

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Werden Sie den Schutz der Betroffenen von Menschenhandel und den Zugang zu Unterstützung zur Priorität machen? Durch welche Maßnahmen auf europäischer Ebene kann dies aus Ihrer Sicht gelingen? Werden die geplanten Maßnahmen für alle Betroffenen, unabhängig ihrer Staatsangehörigkeit, umgesetzt?
Ja. Für die Linke steht ein menschenrechtsbasierter Ansatz im Kampf gegen Menschenhandel im Vordergrund. Es gilt, die Rechte der Opfer stärken, wie etwa das Recht auf Entschädigung und entgangenen Lohn. Oder durch eine konsequente Umsetzung des "NonPunishment"-Prinzips, wonach Opfer von Menschenhandel nicht für Straftaten verfolgt werden dürfen, die sie im Zusammenhang mit Menschenhandel und Ausbeutung begangen haben. Für uns haben folgende Maßnahmen Priorität: ein sicheres Aufenthaltsrecht für alle Betroffene unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit, die finanzielle Förderung von Unterstützungsstrukturen, ein kostenfreier Rechtsbeistand, psychologische und medizinische Behandlung, Entschädigungsleistungen und Zugang zu sozialen Leistungen und Bildungsangeboten. Dazu gehört auch ein Bleiberecht für die Opfer, unabhängig von der Bereitschaft, in Strafverfahren gegen die beteiligten Menschenhändler und Ausbeuter auszusagen.

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Wie wollen Sie der Ausbeutung von Arbeitskräften (auch grenzüberschreitend) entgegenwirken? Welche Rolle spielen für Sie dabei der Schutz und die Rechte von Wanderarbeitnehmer*innen?
Wir wollen ein verbindliches Sozialprotokoll in den EU-Verträgen verankert sehen, das sozialen Grundrechten und sozialem Fortschritt auch im Konfliktfall Vorrang vor wirtschaftlichen „Freiheiten“ und Wettbewerbsregeln einräumt. Arbeitsmobilität innerhalb der EU darf nicht dazu führen, dass Beschäftigte ausgebeutet und die soziale Absicherung ausgehebelt werden. Um die Beschätfigten zu schützen, setzten wir uns für europaweite Beratungsstellen für mobile Beschäftigte ein, wie das Netzwerk Faire Mobilität des DGB. Sozialversicherungsbeiträge müssen dort gezahlt werden, wo die Wertschöpfung stattfindet. Wir fordern vollen Sozialversicherungsschutz in jedem Arbeitsverhältnis ab dem ersten Tag, auch für Saisonbeschäftigte und verbindliche menschenwürdige Standards für Unterkünfte mobiler Beschäftigter.

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Wie wollen Sie die Kooperation bei der Ermittlung und Strafverfolgung in grenzüberschreitenden Fällen von Menschenhandel verbessern?
Der Kampf gegen Menschenhandel durch Politik und Behörden legt den Fokus noch zu stark vornehmlich auf die Verfolgung und Bestrafung der Täter*innen und zu wenig auf den Schutz der Opfer und deren Rechte. Auf Menschenhandel beruhende Sexarbeit findet verdeckt statt und kann nicht im Rahmen von anlasslosen Kontrollbesuchen in Haushalten oder ähnlichem aufgedeckt werden. Das schränkt die Möglichkeiten einer Strafverfolgung stark ein. Die Linke fordert, dass Beratungs- und Hilfsstrukturen für Betroffene gestärkt werden. Die Opfer müssen gleichzeitig die Sicherheit haben, dass sie keine Daten von Klient*innen an Behörden herausgeben zu müssen. Der größte Risikofaktor für Menschenhandel ist Armut. Deshalb wollen wir Menschenhandel an der Wurzel bekämpfen: Armut schaffen wir u.a. durch ein europäisches Mindesteinkommen, soziale Mindeststandards sowie eine europäische Erwerbslosenversicherung ab.

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Wie stehen Sie zur Etablierung eines europäischen Verweismechanismus in Fällen von Menschenhandel? Welche Prioritäten sollte dieser haben? Wie werden Sie im Rahmen dessen die Identifizierung von Betroffenen von Menschenhandel länderübergreifend strukturell sicherstellen?
Die Linke setzt sich dafür ein, dass im Rahmen einer allgemeinen Stärkung des National Referral Mechanism (Nationaler Verweismechanismus) für alle Betroffenen von Menschenhandel und Kinderhandel müssen unabhängig von der Staatsbürgerschaft Zugang haben zu: Schutz, Unterstützung, Beratungs- und Unterstützungsdienste, Gesundheitsversorgung und Entschädigung. Eine länderübergreifende Identifizierung von Menschenhandel-Betroffenen ist zu begrüßen, wenn sie nicht zulasten der Betroffenen geht.

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Welche Bedeutung messen Sie der Europäischen Strategie zur Bekämpfung des Menschenhandels bei?
Bekämpfung von Menschenhandel ist für Die Linke eines der zentralen Themen. Für ein verbessertes Vorgehen gegen kriminelle Aktivitäten braucht es in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit bei Strafverfolgung und Justiz zweifelsohne eine Harmonisierung der nationalen Rechtsvorschriften und einen systematischen Austausch bewährter Verfahren. Die Europäische Strategie zur Bekämpfung von Menschenhandel ist ein wichtiger Schritt, um die transnationale Zusammenarbeit auf gemeinsame Unionsvorschriften zu stützen. Im Rahmen der Europäischen Strategie fordert Die Linke die verpflichtende Einrichtung nationaler Verweismechanismen und Kontaktstellen für die Verweisung der Opfer an geeignete Unterstützungs-, Betreuungs- und Schutzdienste.