Wahlprüfstein Europawahl 2024

DIN Deutsches Institut für Normung e. V. und Deutsche Kommission Elektrotechnik Elektronik und Informationssicherheit in VDE und DIN DKE

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Welche Bedeutung haben Normung und Standardisierung aus Ihrer Sicht für den Wirtschaftsstandort Europa, den europäischen Binnenmarkt, die digitale und grüne Transformation und unsere digitale Souveränität?
Bei Reisen ins europäische Ausland sah man sich früher mit den unterschiedlichsten Steckdosen und Passformen konfrontiert. Die Linke unterstützt den europäischen Einigungsprozess und erkennt die Vorteile der Harmonisierung von Normen und Standards für die Erschließung des Potenzials des EU-Binnenmarktes an. Wir stehen erneut vor einer Umbruchsituation, die sich aus dem Klimawandel und dem rasanten technologischen Fortschritt ergibt. Um beide Herausforderungen produktiv zu meistern, braucht es Kooperation auf weltweitem Niveau. Die begonnene Technologiekoordinierung zwischen EU und USA im Rahmen des TTC ist ein Anfang, doch alle Weltregionen sollten einbezogen werden. Normierung und Standardisierung kann auf Instrumente der Vereinten Nationen zugreifen, wie bspw. die WIPO, um das Technologiepotenzial von und für die Menschheit nutzbar zu machen. Standards dürfen nicht als Instrument einer geopolitischen Konfrontation missbraucht werden.

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Wie stellen Sie sicher, dass die Hebelwirkung von Normung und Standardisierung für den Transfer von Innovationen in marktfähige Produkte in Europa umfassend genutzt wird?
Die Linke sieht die Aufgabe der Politik in der Weichenstellung, welche Forschungsbereiche für die Gesellschaft besonders relevant sind und öffentlich gefördert werden sollten. Normung und Standardisierung sollten dabei ein integraler Bestandteil europäischer Förderprogramme sein. Das erleichtert dann auch die Technologiefolgeabschätzung, die anders als in den USA zur europäischen Kultur geworden ist. Europa ist in der meist öffentlich geförderten Grundlagenforschung international führend, hinkt aber hinterher, wenn es darum geht, daraus nützliche Anwendungen zu entwickeln und auf den Markt zu bringen. Forschung, Produktion und Ausbildung sollten besser zu einem Dreiklang gebracht werden. An Universitäten angegliederte öffentliche Forschungslehrbetriebe könnten dabei in Kooperation mit KMU-Clustern helfen.

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Was unternehmen Sie über bestehende Regulierung und Förderprogramme hinaus, um die aktive Mitarbeit von Wissenschaftlern, Verbrauchern, KMU und Start-ups sowie Vertretern von Umweltinteressen in der Standardisierung zu fördern?
Wir wollen die Plattform für strategische Technologien in Europa (STEP) anders aufstellen und besser ausstatten. Leider haben sich die Freunde des Sparzwangs 2024 im Rat durchgesetzt. Europa verpasste die Chance, sich industriepolitisch neu aufzustellen. Von den vorgeschlagenen 10 Mrd. Euro frisches Geld für STEP kommen nur 1,5 Milliarden – und die fließen ausgerechnet in den Verteidigungsfonds. So können wir als EU mit den Technologie-Investitionen der Regierungen der USA und Chinas nicht Schritt halten. Wir brauchen Investitionen in eine Industrie, die den Planeten für unsere Kinder erhält, die gute Arbeit schafft, die Demokratie und Mitbestimmung im Umbau stärkt, und die den Alltag für alle besser macht. Ohne Normen und Standardisierung wird sich die dafür benötigte Innovationskraft nicht entwickeln lassen. Über Foren, Beiräte und gezielte Beratung sollten Wissenschaft, Verbraucherschutzverbände, KMU und junge Unternehmen früh an die Aufgaben herangeführt und beteiligt werden.

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Setzen Sie sich dafür ein, dass sich die europäische Gesetzgebung für Zukunftstechnologien auch zukünftig auf das Festlegen grundlegender Anforderungen beschränkt und zu deren Ausgestaltung auf Normen und Standards verweist, um den Rechtsrahmen flexibel und innovationsfreundlich zu gestalten?
Bei der europäischen Gesetzgebung zu Zukunftstechnologien wie zuletzt bei der Verordnung zur Regulierung künstlicher Intelligenz geht es uns darum, die Balance von Segen und Fluch der Optionen im Gesetz abzubilden. Wir folgen hierbei einem risikobasierten Regulierungsansatz. Als Linke haben wir bspw. das bestehende Verbot des Einsatzes von Gesichtserkennung durch KI im öffentlichen Raum verteidigt. Datenschutz schafft das Vertrauen in KI-Technologie, das Voraussetzung für den Erfolg von Innovationen ist. Unter strengen Auflagen wird dies nun nach dem Kompromiss zwischen Parlament und Rat leider doch möglich sein, aber zumindest nur für staatliche Ermittler. Wir denken, dass Vorgaben zu Normen und Standards bei der Umsetzung des politisch gesetzten Rahmens durch den Gesetzgeber in angemessener Tiefe erfolgen sollten, wo dies angebracht ist. Reine Fragen der Implementierung werden durch Arbeitsgruppen von Rat und EU-Kommission bearbeitet. Hier fordern wir mehr Transparenz.

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Wie stellen Sie sicher, dass, wie in der EU Normungsstrategie empfohlen, durch Einbindung von Normung und Standardisierung in universitäre Lehre sowie berufliche Aus- und Weiterbildung genug neue Expert*innen ausgebildet werden, um europäische Interessen international angemessen zu vertreten?
EU-finanzierte Forschung muss den Normungsbedarf in Innovationsprojekten aufwerten. Im für 2 Jahre ausgelegten „Standardisation Booster“ ist diese Herangehensweise fixiert, was Die Linke begrüßen. Hohe Standards in der sozial-ökologischen Transformation bedeuten mehr Sicherheit und Vereinfachungen für alle und sind Teil eines positiven internationalen Wettbewerbsverständnisses. Die Mitsprache von Zivilgesellschaft und KMUs sind über den Europäischen Forschungsraum zu sichern. Die Linke fordert wesentlich mehr strategische Förderung für grüner Industrie.

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Die neue Bauprodukteverordnung hat das europäische Normungssystem gestärkt und der EU-Kommission klare Vorgaben gesetzt, um den Prozess rund um die Erstellung und Veröffentlichung harmonisierter Europäischer Normen deutlich zu beschleunigen. Wie werden Sie die Umsetzung begleiten und nachhalten?
Die LINKE bedauert, dass mit der Bauprodukteverordnung vor allem die bestehenden Standards gestärkt wurden, die nach den Belangen der fertigenden Industrie definiert wurden. Es wurde eine Gelegenheit verpasst, Nachhaltigkeit zu einem vorrangigen Kriterium der Standards im Bau zu machen, statt industrielle Profite. Der Ansatz der Selbstregulierung hat nachweislich nicht dazu geführt, dass die Industrie sich zum Vorreiter für Nachhaltigkeit gemacht hat. Wir treten daher für eine stärkere Rolle der gesamtgesellschaftlichen Interessen in der Definition von Industriestandards ein. Entsprechende Foren sollten transparent und unter Einbindung vielfältiger Perspektiven bessere weil nachhaltigere Standards entwickeln. An deren Umsetzung würden wir uns dann gern auf europäischer Ebene und auf Ebene der Mitgliedstaaten beteiligen.

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Wie wollen Sie die europäische Zusammenarbeit in Bezug auf elektrische und digitale Technologien zur Dekarbonisierung und Elektrifizierung unserer Gesellschaft All Electric Society) stärken und sicherstellen, dass Europa weiterhin führend in der Gestaltung globaler Normen und Standards ist?
Mithilfe von Differenz- und Klimaschutzverträgen (CCfDs) wollen wir klimafreundliche Technologie bei der Um- und Ausrüstung von Produktionsanlagen fördern und Beschäftigung schützen: Energieintensive Industriebetriebe erhalten Finanzhilfen für die Umrüstung auf eine CO2-arme Produktion in Höhe der Differenz der CO2-Vermeidungskosten und dem CO2-Zertifikatspreis. So bleiben Industriebetriebe in der Transformation wettbewerbsfähig und Beschäftigung kann geschützt werden. Subventionen und Investitionshilfen für eine CO2-freie Industrie müssen an soziale Bedingungen für gute Arbeit, Tariftreue, konkrete Beschäftigungszahlen, Ausbildungsquoten und Standortgarantien geknüpft werden. Wer Beschäftigungsabbau betreibt, muss Fördergelder zurückzahlen. Es dürfen keine Unternehmen in Steueroasen gefördert werden. Normen und Standards einer globalen „All Electric Society“ sollen gemeinsam mit Partnern in den anderen Weltregionen definiert werden. Die Kolonialzeit ist vorbei.