Wahlprüfstein Europawahl 2024

Bundesforum Männer – Interessenverband für Jungen, Männer und Väter e.V.

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Was macht für Die Linke eine zeitgemäße Gleichstellungspolitik auf europäischer Ebene aus?
Eine Gleichstellungspolitik auf der Höhe der Zeit bedeutet für Die Linke, einen umfassenden und intersektionalen Ansatz zu verfolgen. Gleichberechtigung in diesem Sinne auf allen Ebenen voranzubringen, steht für uns in enger Verbindung mit der Umverteilung der gesellschaftlichen Sorge- und Erwerbsarbeit zwischen den Geschlechtern. Zentral sind dabei zwei Punkte: 1. die Aufwertung bislang "weiblich" konnotierter Erwerbstätigkeiten (z.B. in der Pflege und Erziehung). 2. die vermehrte Übernahme der privaten und beruflichen Sorgearbeit durch Männer. Dazu sind in den einzelnen EU-Mitgliedsstaaten jeweils unterschiedlicher Ansätze zu verfolgen.

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Welche Rolle spielen für Die Linke Jungen, Männer und Väter in einer solchen Gleichstellungspolitik?
Wir wollen Jungen, Männern und Vätern ermöglichen, einen gerechten Anteil an der Sorgearbeit zu leisten. Das befördern wir z.B. durch entsprechende Regelungen im Elterngeld. Und zentral ist für uns eine kurze Vollzeit für alle, die auch den Männern mehr Zeit für Familie und Sorgearbeit lassen soll. Wir wollen eine gesellschaftliche Debatte befördern, wie individuelle Männer sich entscheiden können, nicht Nutznießer des Patriarchats zu werden. Dies umfasst zum einen die Bereitschaft, sich an der Umverteilung von Sorge- und Erwerbsarbeit aktiv zu beteiligen. Zum anderen betrifft dies die aktive Auseinandersetzung mit neuen Rollenbildern für Männer, die den Prinzipien der Geschlechtergerechtigkeit und Geschlechtergleichstellung verpflichtet sind.

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Was sind aus Sicht der Linken die wichtigsten Baustellen beim Thema „Geschlechtergerechtigkeit“ für Frauen und Männer, die in der kommenden Legislaturperiode des Europäischen Parlaments angegangen werden müssen?
Die EU-Strategie für die Gleichstellung der Geschlechter läuft Ende 2025 aus. Das Europäische Parlament (EP) hat die bisherige Umsetzung kritisch begleitet und auf Defizite hingewiesen. Zum Beispiel fehlen EU-weite Regeln zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen. Noch immer ist das Recht auf Schwangerschaftsabbruch in vielen EU-Mitgliedsländern eingeschränkt. Die Linke will, dass sich dies ändert. Das Recht auf sexuelle und reproduktive Selbstbestimmung muss EU-weit gestärkt werden. Ebenfalls auf der Agenda bleiben die Bekämpfung von Geschlechterstereotypen, der Ungleichheit in der Arbeitswelt und der Ungleichverteilung der unbezahlten Sorgearbeit zwischen Frauen und Männern.

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Welche Maßnahmen möchte Die Linke auf europäischer Ebene politisch umsetzen, um die Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Pflege zu verbessern und welche Rolle spielen dabei Jungen, Männer und Väter?
Wir setzen uns für kürzere Arbeitszeiten in ganz Europa ein, damit mehr Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern entsteht. Wir schlagen dafür eine Verkürzung auf etwa 30 Stunden pro Woche (4-Tage-Woche) vor: bei vollem Lohn- und notwendigem Personalausgleich und für die Beschäftigten flexibel über die Berufsbiografie zu wählen. Wir wollen dazu Modellprojekte fördern. Arbeitszeitverkürzung darf nicht zur Verdichtung der Erwerbsarbeit führen. Dann können auch mehr Männer unbezahlte Sorgearbeit im Haushalt übernehmen. Pflege zu Hause wird weiterhin überwiegend von den Frauen der Familien geleistet, mit allen negativen Folgen einer "gebrochenen Berufsbiografie". Wir wollen Pflege – auch im häuslichen Umfeld – auf gute sozialversicherungspflichtige Jobs aufbauen.

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Was möchte Die Linke im Europäischen Parlament unternehmen, um Gewaltschutz und -prävention auszubauen, und wie können Jungen und Männer dabei als “Agents of Change” – aber auch als Betroffene – berücksichtigt werden?
Für jede dritte Frau in der EU gehört Gewalt durch den Partner zur alltäglichen Erfahrung. Trotz "Istanbul-Konvention" werden Tötungen von Frauen häufig nicht als Morde, sondern als Totschläge oder Körperverletzungen mit Todesfolge verurteilt. Deshalb wird sich Die Linke im Europäischen Parlament dafür einsetzen, dass die "Istanbul-Konvention" in allen EU-Mitgliedstaaten auch in strafrechtlicher Hinsicht vorbehaltlos umgesetzt wird. Zudem fordern wir eine flächendeckende Versorgung für von Gewalt betroffene Frauen mit Schutzräumen, Beratungsangeboten und psychologischer Begleitung. Die Gewaltprävention muss durch Bewusstseinsschaffung und Sensibilisierung der Öffentlichkeit gestärkt werden. Dabei müssen männliche Frauenverachtung und gekränkte Männlichkeit als Ursachen von Femiziden thematisiert werden. Vor allem Männer sind hier gefordert, auf Basis kritischer Selbstreflexion transformative Lernprozesse zu durchlaufen.

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Wie will sich Die Linke in der Europäischen Union dafür einsetzen, Demokratieförderung und Extremismusprävention zu stärken, und welche Relevanz hat dabei eine Gleichstellungspolitik, die auch Jungen und Männer in den Blick nimmt?
Mehr als drei Viertel aller europäischen Bürger*innen wünschen sich mehr Mitsprache bei der Entscheidungsfindung in der EU. Die Linke wird sich deshalb im Europäischen Parlament dafür einsetzen, dass EU-Bürger*innen das Recht erhalten, über Volksentscheide und Volksbegehren die EU-Politik mitzugestalten und Gesetze zu initiieren. Wir wollen zudem EU-weit "Bürgerräte" einrichten, um die Mitsprache und Teilhabe der Bürger*innen zu stärken. Die "Europäische Zukunftskonferenz" wollen wir verstetigen und zu einer vollgültigen EU-Bürgergesetzgebung ausbauen. Fragen der Gleichstellung, Teilhabe und Antidiskriminierung werden dabei wichtige Querschnittsthemen sein. Dies beinhaltet auch die Rolle von Männern bei diesen Themen.

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Wie gedenkt Die Linke – v.a. mit Blick auf die Männergesundheitsstrategie der WHO für die europäische Region (2018) – jungen-­ und männerspezifische Bedarfe in der Gesundheitspolitik differenzierter zu berücksichtigen und zu fördern?
Um Ungleichheiten in der medizinischen Versorgung zwischen den Geschlechtern zu verringern, wollen wir zum einen Defizite in der Gesundheitsversorgung von Frauen und queeren Menschen beseitigen. Wir wollen mehr Beratungs- und Gesundheitszentren insbesondere für trans und inter Menschen sowie eine umfassende und kostenfreie Gesundheitsversorgung, die niedrigschwellig und diskriminierungssensibel ist. Außerdem wollen wir unabhängige Frauengesundheitseinrichtungen und frauenspezifische Gesundheitsforschung fördern. Zum anderen wollen wir für einen besseren Gesundheitsschutz von Männern, indem sie durch gezielte Aufklärung und Mobilisierung traditionelle Männlichkeitsbilder kritisch reflektieren und eigene Ressourcen für Selbstschutz aktivieren lernen. Dies muss auch die kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Rolle als Mann im Kontext von Familie und Geschlechterverhältnis hinsichtlich unbezahlter Sorgearbeit, Gewaltprävention sowie sexueller und reproduktiver Gesundheit beinhalten.