Wahlprüfstein Europawahl 2024

Handelsverband Wohnen und Büro e.V.

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Der private Konsum ist beim Endkunden in den letzten Monaten auch aufgrund von unsicheren politischen Rahmenbedingungen, in denen sich der Verbraucher verunsichert fühlt, zurückgegangen. Aktuell wird es wohl keine großen Ausgabensprünge geben. Welche Lösungsansätze können hier helfen?
Die Kaufkraft ist in den vergangenen Jahren zurückgegangen, weil die Lohnentwicklung nicht mit den Gewinnen der Unternehmen und der Entwicklung der Preise Schritt gehalten hat. Eine höhere Tarifbindung stärkt die Kaufkraft durch gute Löhne – hier wäre wichtig, dass die von der EU-Mindestlohnrichtlinie geforderte Quote der Tarifbindung von mindestens 80% erreicht wird. Wir setzen uns dafür ein, dass öffentliche Förderung und Vergabe von Aufträgen an Tariftreue und ökologische Kriterien gebunden werden. Die Inflation ist maßgeblich angetrieben worden davon, dass Lebensmittel- und Energiekonzerne die Preise hochgesetzt haben, weit über gestiegene eigenen Kosten. Diese Praxis kann durch eine Übergewinnsteuer eingeschränkt werden: der Anreiz, die Preise überdurchschnittlich zu erhöhen, kann dadurch entgegengewirkt werden. Schließlich braucht es stärkere demokratische Mittel, um in die Preisgestaltung Einfluss zu nehmen. Das betrifft die Deckelung von Mietsteigerungen, Energie und Wärme. Zusammen mit den Preisen für Lebensmittel sind diese Konsumbereiche maßgeblich dafür verantwortlich, ob Konsum als "riskant" angesehen wird.

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Die Konjunkturprognosen für Deutschland zeigen, dass ein dynamisches Wachstum in diesem Jahr ausbleiben wird. Was kann auf europäischer Ebene unternommen werden, damit wieder mehr Wachstum generiert wird?
Die EU steckt in einer hausgemachten Wirtschaftskrise. Der ehemalige EZB-Präsident Draghi bekannte bei der La Hulpe-Konferenz im April 2024, dass es falsch war, während der Wirtschaftskrise 2010 ff. die Lohnkosten zu senken und dies mit einer prozyklischen Fiskalpolitik zu kombinieren. Eine Wirtschaftspolitik, die Wohlstand sichert, muss folgende Punkte beachten: Die Nachfrage muss durch tarifgebundene Lohnabschlüsse gesichert werden. Der EU-Haushalt muss mindestens doppelt so groß sein, um die zahlreichen Krisen in der EU zu meistern und eine regional ausgeglichene Entwicklung zu ermöglichen. Dafür benötigen wir eine Übergewinnsteuer für Großkonzerne, eine Finanztransaktionssteuer und eine Gesamtbesteuerung von Konzernen auf EU-Ebene durch direkte Besteuerung von 25 % der Unternehmensgewinne. Wir wollen eine Verstetigung der Wachstumspolitik à la NextGenerationEU über 2026 hinaus. Bei der Ausgestaltung der Programme wollen wir die Mitbestimmung vor Ort stärken.

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Der Einzelhandel ist die Schlüsselbranche für die weitere Entwicklung der Innenstädte. Lebenswerte Innenstädte wollen zum Besuch und zum Verweilen einladen. Was ist ihrer Ansicht nach zu unternehmen, um die Innenstädte in Ihrer Attraktivität für den Einzelhandel und den Verbraucher zu stärken?
Der Einzelhandel lebt von Nachfrage. Diese muss durch höhere Löhne gesichert werden. Als Folge der Pandemie drohen in vielen Branchen Entlassungen und Kahlschlag in den Innenstädten. Wir wollen uns dem entgegenstellen: Wir wollen Ortskerne wiederbeleben und den unökologischen Flächenverbrauch durch Neubauten auf der grünen Wiese beenden! Dafür müssen wir den öffentlichen Raum umgestalten – holen wir uns die Ortschaften zurück! Gewerbe-Mieten müssen reduziert werden. Wir wollen für die Kommunen Investitionsmittel zur Verfügung stellen, damit in bezahlbares Wohnen, bezahlbare Mobilität, Kultur und in attraktive Innenstädte investiert wird. Wir fordern, in leeren Einkaufspassagen Sorgezentren einzurichten, die zum Mittelpunkt der Orte werden. Wir wollen einen Mindestanteil von Sozialwohnungen, um den Trend zur Bildung von Parallelgesellschaften der Reichen in Innenstädten zu stoppen. Die Linke sich für weitgehend autofreie Innenstädte ein, je nach kommunalen Gegebenheiten.

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Unternehmen fühlen sich mit überbordender Bürokratie allein gelassen. Immer mehr Gesetze und Auflagen sind durch sie zu erfüllen. Was können sie dem entgegnen und wie positioniert sich Europa in der kommenden Legislaturperiode hierzu?
Die EU ist auch mit dem Anspruch angetreten, Bürokratie abbauen zu wollen. Tatsächlich hat aber die Herstellung des Binnenmarktes erst recht für mehr Bürokratie gesorgt. Denn der „freie Markt“ muss erst durch ganz viele Regeln hergestellt werden, damit es überall vergleichbare Produkte und Dienstleistungen gibt. Auch Förderprojekte in Wissenschaft und Forschung oder von regionalen und kommunalen Strukturprogrammen müssen sich durch einen riesigen Wust an bürokratischen Vorschriften kämpfen, die wahnsinnig viel Arbeitsressourcen binden. Bürokratie ist kein Selbstzweck – Entbürokratisierung aber auch nicht. Gesetzliche Regulierung bedeutet auch, dass die Gesellschaft, der Gesetzgeber dem wirtschaftlichen Handeln Grenzen auferlegt, etwa indem mit der Entsenderichtlinie Mindestanforderungen in Arbeitsverhältnissen formuliert werden. Diese müssen selbstverständlich durchgesetzt werden – auch das ist Bürokratie. Wenn wir von Entbürokratisierung reden, meinen wir Erleichterungen für die Mehrheit der Bevölkerung, für Handwerkerbetriebe und kleine Unternehmen.

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Was sind ihre persönlichen Ziele und Aufgaben für die kommende Legislaturperiode?
Als Spitzenkandidatin für Die Linke setze ich, Carola Rackete, mich dafür ein, die Klimakrise zu bekämpfen. Die Hauptverantwortung für die Klimakrise tragen die fossilen Konzerne. Wir wollen die Verursacher zur Verantwortung ziehen und Entscheidungen für das Gemeinwohl treffen. Wir wollen eine nachhaltige und sozial gerechte Transformation der Industrie fördern; besonders stärken wir Schienenproduktion und -Verkehr. In der Landwirtschaft geht es darum, die Spekulation mit Böden und Essen zu stoppen, Bauern ein gutes Auskommen zu sichern und alle Menschen mit gesunden, bezahlbaren Lebensmitteln zu versorgen. Deutschland hat historisch den vierthöchsten Treibhausgas-Ausstoß der Welt. Als Spitzenkandidatin für Die Linke kämpfe ich deshalb auch für einen Schuldenerlass für den globalen Süden – sowie sichere Perspektiven für Menschen, die durch die Klimakrise zur Flucht gezwungen sind.