Wahlprüfstein Europawahl 2024

Deutschländer Community

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Welche Maßnahmen planen Sie, um die Anerkennung und Förderung der kulturellen und sprachlichen Identität der türkischen Gemeinschaft in der Europäischen Union zu unterstützen, insbesondere im Hinblick auf ihre mögliche Anerkennung als nationale Minderheit in Deutschland?
Wer die kulturelle und sprachliche Identität von Türkeistämmigen ernsthaft anerkennt und wertschätzt, muss ihr mit Respekt und Selbstverständlichkeit begegnen. Dazu gehört es zum Beispiel Alternativen zu Türkisch-Unterricht an türkischen Konsulaten zu verankern. Ein Beispiel aus Hessen illustriert das Problem: An weiterführenden Schulen werden dort Französisch, Latein und eine Reihe weiterer Fremdsprachen unterrichtet. In Hessen wurden zum Beispiel im Jahr 2021 Arabisch, Polnisch, Portugiesisch und Chinesisch in den Fremdsprachenkanon aufgenommen. Im Jahr 2022 beschloss die schwarz-grüne Landesregierung auch Türkisch aufzunehmen. Das geschah aber nur versuchsweise, Ende 2023 gab es in Hessen nur insgesamt 3 Schulen, die Türkisch als zweite Fremdsprache unterrichten. Schulversuche werden als diskriminierend erlebt und sind entsprechend unpopulär. Wir haben uns schon frühzeitig gegen diese Ungleichbehandlung und für Türkisch als Wahlpflichtfach an Schulen ausgesprochen.

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Wie vertraut sind Sie mit den aktuellen Problemen und Herausforderungen der in Europa beheimateten Türken und welche Maßnahmen beabsichtigen Sie zu ergreifen, um ihren gesellschaftlichen Beitrag zu sichern?
Viele, die in den letzten Jahrzehnten aus der Türkei nach Deutschland kamen, vermissen eine Anerkennung ihrer Lebensleistung auf Grund von Rassismus. Seinetwegen werden zahlreiche hier geborene Türkeistämmige noch immer im Alltag nicht wirklich als Einheimische betrachtet. Sie leisten ihren gesellschaftlichen Beitrag, aber unter Bedingungen realer Ungleichheit. Diskriminierende Praxen, wie bei Einreisevisa, Sprache, Anerkennung von Bildungsabschlüssen oder Familiennachzug gehören beseitigt. Einige haben gute Gründe, sich nicht einbürgern zu lassen, deswegen haben wir im Bundestag ein Wahlrecht für alle gefordert, die sich seit mindestens fünf Jahren in Deutschland aufhalten. Hierzulande leben auch Menschen, die in den letzten Jahren vor dem AKP-Regime nach Europa geflohen sind oder andere Verfolgungsbiografien haben. Ihre Bedürfnisse nach Schutz und politischer Betätigung dürfen nicht vermeintlichen außen- oder sicherheitspolitischen Interessen der Bundesrepublik geopfert werden.

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Welche spezifischen Initiativen oder Programme planen Sie zu implementieren, die darauf abzielen, die kulturelle Vielfalt innerhalb der Europäischen Union zu stärken, mit besonderem Fokus auf die Anerkennung und den Schutz der türkischen Sprache als Minderheitensprache in Deutschland?
Eine mehrsprachige Sozialisation wird in Deutschland leider nur bei ökonomisch als wichtig erachteten Sprachen geschätzt. Wir sehen die Mehrsprachigkeit bei Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund als eine Bereicherung und eine Chance, die von den Schulen anerkannt und für gemeinsames Lernen genutzt werden soll. Die Muttersprache beim Erlernen weiterer Sprachen einzubeziehen, ist wichtig, um in diesen Sprachen einen sicheren Stand zu erwerben. Die Herkunftssprache soll bei Prüfungen als erste oder zweite Sprache anerkannt werden. Wir betrachten Regional- oder Minderheitensprachen als Ausdruck des kulturellen Reichtums und fördern ihr Angebot in Schulen.
Themen: Kultur

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Wie bewerten Sie die Vereinbarkeit von politischen Bestrebungen, den Gebrauch der türkischen Sprache in Religionsgemeinden einzuschränken, mit den Grundsätzen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen?
Die freie Ausübung von Religion ist ein unverrückbares Grundrecht. Dazu gehört auch die Frage der Sprache. Jede Religion kann in jeder beliebigen Sprache ausgeübt werden, ebenso kann in jeder beliebigen Sprache zur Teilnahme an religiösen Zeremonien und Veranstaltungen aufgerufen werden. Jeder Versuch dieses Recht zu untergraben stößt auf unsere entschiedene Ablehnung. Mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen sind derartige Bestrebungen nicht vereinbar.
Themen: Migration

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Welche Maßnahmen halten Sie für erforderlich, um den historisch in Europa verwurzelten Antitürkismus und die Turkophobie zu bekämpfen und die Rechte und Sicherheit der türkischen Gemeinschaft zu gewährleisten?
Als eine emanzipatorische und antirassische Partei stehen wir gegen jede Form menschenfeindlicher Diskriminierung; dies schließt Türkeistämmige ausdrücklich mit ein. Der gegenwärtige Rechtsruck in Europa stellt für ihre Sicherheit und Grundrechte die größte Bedrohung dar. Völkischer Nationalismus und antimuslimischer Rassismus werden von uns entschieden bekämpft. Das Europäische Parlament hat sich verschiedentlich gegen Rassismus und Diskriminierung ausgesprochen – auch auf Initiative der Linken. Dort, wo die Empfehlungen der EU-Kommission gegen Rassismus und Intoleranz sowie der Agentur für Grundrechte nicht umgesetzt werden, müssen Sanktionen folgen. Der EU-Aktionsplan gegen Rassismus soll über 2025 hinaus verlängert werden. Die EU muss auf Mitgliedstaaten einwirken, um Racial Profiling, Polizeigewalt und alle anderen Formen von institutionellen Rassismus zu bekämpfen.
Themen: Rassismus

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Wie würden Sie die aktuelle Strategie der EU in Bezug auf Sicherheitsfragen mit der Türkei bewerten, unter Berücksichtigung der Herausforderungen der Flüchtlingskrise, des Grenzmanagements und der Bekämpfung von Terrororganisationen wie dem IS und der PKK, inklusive ihrer regionalen Ableger?
Die Gleichsetzung der PKK mit dem IS verursacht viel unnötiges Leid, indem sie in der Türkei und der Region die friedliche und emanzipatorische Bearbeitung der kurdisch-türkischen Frage erschwert. Die Berücksichtigung legitimer Forderungen der kurdischen Bevölkerung im Dialog würde sich positiv auf die Sicherheitslage auswirken, dies konnte in Ansätzen bereits 2013 bis 2015 während des Gesprächsprozesses zwischen der türkischen Regierung und der PKK beobachtet werden. Nachdem die AKP bei den Wahlen im Juni 2015 ihre Regierungsmehrheit verlor, brach sie den Prozess leider ab, da sie auf eine Politik nationalistischer Polarisierung setzte. Der AKP brachte dies im November 2015 die Wiederwahl, aber dem Land und der Region keinen Frieden. Eine Türkei, die zu Frieden und Sicherheit beiträgt, ist wünschenswert. Deshalb gilt unsere Solidarität den demokratischen Kräften im Land. Doch diese ordnet die EU zu häufig kurzfristigen Interessen an möglichst repressiver Grenzsicherung unter.

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Welche spezifischen Maßnahmen würden Sie als Reaktion auf die jüngsten Angriffe von PKK-Anhängern auf die türkische Gemeinschaft in Belgien, Frankreich und Deutschland ergreifen, um solche Vorfälle zu verhindern?
Die Angriffe türkischer Rechtsextremisten der Grauen Wölfe auf kurdische Neujahrsfeierlichkeiten und Wohnungen haben in Belgien für Spannungen gesorgt. Die Videos sind zuweilen von den Angreifern selbst in die Sozialen Medien hochgeladen worden, sie konnten nicht akzeptieren, dass das kurdische Neujahrsfest öffentlich gefeiert wird. Erst dies brachte den Konflikt und Folgereaktionen. Angriffe auf türkische Generalkonsulate in Folge der dann einsetzenden Eskalation sind ebenfalls inakzeptabel. Zentral ist das aktive und unablässige Hinwirken der EU auf die friedliche, dialogische und demokratische Lösung der türkisch-kurdischen Frage, bei welcher Rechte auf Selbstbestimmung praktisch realisiert werden. Wir stehen auf Seiten aller demokratischen Kräfte, die sich dieser Agenda verschrieben haben.

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Welche Maßnahmen beabsichtigen Sie zu ergreifen, um eine engere Zusammenarbeit und einen Dialog zwischen der türkischen Gemeinschaft in Europa und den staatlichen sowie nichtstaatlichen Organisationen zu fördern, um Herausforderungen und Bedürfnisse der türkischen Gemeinschaft effektiv anzugehen?
In Deutschland findet eine intensive Zusammenarbeit des Staates mit verschiedenen Organisationen statt. Ein wichtiges Scharnier bilden zum Beispiel Integrationsbeiräte, in denen Zugewanderte und ihre Organisationen in einem Prozess demokratischer Wahl repräsentiert werden und ihr Wissen direkt in die Gestaltung der Politik vor Ort einbringen können. Allerdings gibt es hier nicht die eine türkische Gemeinschaft, sondern, ebenso wie in der Türkei auch, eine Vielzahl von politischen und religiösen Strömungen. Für die Beziehungen mit Organisationen aus der Türkei oder von Türkeistämmigen darf nicht von Bedeutung sein in welcher Nähe oder Ferne sie zum deutschen oder türkischen Staat stehen und wie sich das auf die Beziehungen zur türkischen Regierung auswirkt. Regierungsnahe Organisationen dürfen nicht gegenüber oppositionellen überprivilegiert werden. Keine Organisation repräsentiert alle Türkinnen und Türken in der EU, die Beiträge aller demokratischen Organisationen sind willkommen.